Öl!
Leber», polterte Verne, und die Antwort lautete: «Hör zu, Papa, du hast mir gesagt, ich soll dafür sorgen, dass du gehorchst! Muss ich dich vor all diesen Leuten blamieren?»
«Mich blamieren? Den möcht ich sehen, der mich blamieren kann!»
«Ach, Papa, du weißt genau, dass es dir peinlich ist, wenn ich erzähle, was du zu mir gesagt hast, als du das letzte Mal betrunken warst.»
Verne schwieg, das Glas halb erhoben, und versuchte sich zu erinnern, und die Gäste forderten unter großem Geschrei: «Sag schon! Sag schon!»
«Soll ich es ihnen erzählen, Papa?» Sie bluffte, denn Annabelle war sehr prüde und gestattete sich nie eine vulgäre Bemerkung. Doch der Bluff funktionierte; der große Mann setzte sein Glas ab. «Ich geb mich geschlagen! Nimm das Zeug weg.» Alle applaudierten, und die Party nahm einen fröhlichen Anfang.
So seltsam es scheinen mochte: Annabelle war eine fromme Katholikin. Wie sie freilich mit ihren Priestern ins Reine kam, erfuhr Bunny nie, doch sie spendete großzügig und trat bei Benefizveranstaltungen für katholische Waisenhäuser und dergleichen auf. Gleichzeitig war ihr kleiner Kopf so voller Aberglauben wie der einer alten Negermummy. Nicht um Vernons gesamte acht Millionen Dollar hätte sie einen Film an einem Freitag zu drehen begonnen. Wenn man Salz verschüttete, riet sie einem nicht nur, ein wenig davon über die Schulter zu werfen, sondern tat es, falls nötig, gleich selbst. Einmal platzierte sie eine Freundin beim Lunch an einen Nebentisch, denn sonst hätten dreizehn Personen beisammengesessen, und da dieses Mädchen die jüngste war, wäre sie das Opfer gewesen.
Dabei war sie ein ausgesprochen lieber Mensch. Sie mochte ihre Gäste wirklich, hatte sie gern um sich, und wenn sie einen bat, wiederzukommen, meinte sie es ernst. Sie machte auch niemals unfreundliche Bemerkungen über Abwesende. Zusammen mit dem rauschhaften künstlerischen Temperament fehlte ihr auch die damit verbundene quälende Eifersucht; sie war einer der wenigen weiblichen Stars, in deren Gegenwart man in aller Ruhe die Leistungen anderer weiblicher Stars loben konnte, merkte Bunny. Außerdem hatte sie eine unverbrüchliche Hochachtung vor ihm, weil er Bücher las und sich Gedanken zu Fragen des öffentlichen Lebens machte. Die Tatsache, dass Bunny als gefährlicher «Rosaroter» auf den Titelseiten der Zeitungen gestanden hatte, verlieh ihm denselben Nimbus von Geheimnis und Romantik, wie ihn das Publikum Annabelle zuschrieb, der Leinwandheldin und Kustodin eines Klosters!
5
«Harve», sagte Annabelle, «du solltest Mr Ross vor dem Dinner noch das Haus zeigen.» Und so bekam Bunny zu sehen, wie ein richtiger Landsitz beschaffen war, damit er seinen Vater überreden konnte, ihm auch so einen zu bauen. Harvey Manning gab indes keinen besonders guten Führer ab. Wer Sehenswürdigkeiten präsentiert, muss einen Hang zur Bewunderung haben, aber «Harve» kannte schon zu viele solcher Häuser und war in allen gleichermaßen Stammgast.
Auf dieser Liegenschaft gab es fast so viele Gebäude wie Lagertanks in der Raffinerie von Paradise, nur handelte es sich hier um gotische Lagertanks mit Miniaturtürmen und Fialen, Zinnen und Maschikulis. Eine Kapelle oder ein Andachtsraum fand sich nicht, auch keine Gruft für verstorbene Äbte, aber eine Sporthalle mit einem Schwimmbecken aus grünem Marmor, eine Bowlingbahn, Squashfelder, Tennisplätze, einen Neun-Loch-Golfplatz und ein Polofeld – alles, was zu einem gut ausgestatteten Country Club gehört. In einem Stall standen Reitpferde, die fast nur von den Stallburschen geritten wurden, und in einer Bibliothek Bücher, die nur Filmregisseure auf der Suche nach Lokalkolorit aufschlugen. So zumindest stellte Harvey es dar.
Außerdem gab es eine regelrechte Menagerie mit einheimischen Tieren. Die Hausangestellten und ihre Kinder hatten entdeckt, dass solche Geschenke dem Herrn Freude machten, deshalb schleppten sie alles an, was sie einfangen konnten. Es gab einen umzäunten Park mit Rotwild und Bergschafen, ein stark gesichertes Areal mit Höhlen für Grizzlys, die über die Felsbrocken trotteten, dazu Wildkatzen, Kojoten und Pumas, die im Schatten dösten. Unter einer riesigen, von einem Netz überspannten Kuppel lag ein großer abgestorbener Baum, auf dem mehrere Adler saßen. Der frei lebende Adler, der als überlegener Herrscher durch azurblaue Lüfte segelt, hat seit jeher die Dichter begeistert, ein Adler in einem Käfig aber ist ein deprimierender
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