Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Öl!

Titel: Öl! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
in der Umgebung stand dem Ölprinzen und seinem königlichen Erzeuger genug Land als Jagdgebiet zur Verfügung. Und sobald man außer Sichtweite der Bohrtürme und außer Riechweite der Raffinerie war, erwies es sich als das immer gleiche schöne Land mit den gleichen klaren Himmelsweiten und goldenen Sonnenuntergängen; die Gifte des Schmugglerwhiskeys wichen aus dem Blut und die peinlichen Erinnerungen aus dem Gemüt. Wenn man über diese felsigen Berge stapfte und diese wunderbare Luft in die Lungen einsog, musste man einfach glauben, dass der Mensch eines Tages lernen würde, glücklich zu sein.
    Dieser Aufenthalt fiel mit einem bedeutenden historischen Ereignis zusammen, das Paradise in ganz Kalifornien bekannt machte. Eli Watkins, der Prophet des Herrn, hatte die letzte Rate für das Grundstück bezahlt, auf dem in Angel City sein Tempel errichtet werden sollte, und er feierte dieses Ereignis, indem er an den Ort seiner Jugend zurückkehrte, zu der kleinen Fachwerkkirche, in welcher der Menschheit die Dritte Offenbarung zuteilgeworden war, und dort etwas ganz Neuartiges, Aufregendes, von ihm selbst Erfundenes veranstaltete, einen sogenannten Bibelmarathon. Eli hatte nämlich in den Zeitungen von Marathonläufen gelesen, und wenn er auch nicht wusste, wo das Wort herkam, klang es doch romantisch, und er hatte eine Vorliebe für fremdartige Wörter. So verkündeten die Jünger der Ersten Apostolischen Kirche von Paradise, bei einem Bibelmarathon werde das Wort des Herrn in einem durch von vorn bis hinten gelesen, ohne eine einzige Pause; die Leser würden staffelweise eingeteilt, Tag und Nacht sitze eine kleine Schar in der Kirche, und eine Stimme nach der anderen übernehme die heilige Aufgabe, ungeachtet der Ölquellen «in Förderung» unmittelbar vor der Tür.
    Das war ganz große Zauberkunst. Es elektrisierte nicht nur die Gläubigen und lockte massenweise Menschen in die Stadt, sondern gefiel auch den Zeitungen, und sie schickten eilends Reporter, die über das Ereignis ausführlich berichten sollten. Viele neue Wunder wurden gewirkt und viele Krücken an die Wand gehängt, und auf dem Höhepunkt der Erregung versprach der Herr ein neues Zeichen seiner Gnade: Eli, der im Freien vor der Menschenmenge predigte, verkündete im Namen des Herrn, falls die Lesung vollendet würde, werde göttliche Allmacht bewirken, dass das noch fehlende Geld gestiftet und der Tempel in Angel City innerhalb eines Jahres erbaut werde. Von da an vermochte natürlich nichts mehr den «Marathon» aufzuhalten, und die bahnbrechende Großtat wurde in der Zeit von vier Tagen, fünf Stunden, siebzehn Minuten und zweiundvierzigdreiviertel Sekunden vollbracht – Ehre sei Gott in der Höhe!
    Bunny sah die jauchzenden Massen, barhäuptig, die Gesichter zum Himmel gewandt und von einem Scheinwerfer angestrahlt, denn Eli hatte jetzt Geld und nutzte es für spektakuläre Effekte. Auf einem Podest stand die Blaskapelle, deren Instrumente im elektrischen Licht silbern aufblitzten, der Prophet sprach mahnend zum Volk, dann gab er den Musikern ein Zeichen, sie schmetterten eine alte Gospelmelodie, und die Menge wurde urplötzlich zu einem gewaltigen Chor, schwankend, stampfend, tränenüberströmt, die Seelen schon im Himmel.
    Im Publikum gab es viele Ölarbeiterfrauen, und diese beschworen und baten und beredeten ihre Männer immer, ebenfalls zu kommen. Ein so einsamer Ort wie Paradise hatte einem Mann nicht viel zu bieten, drittklassige Filme waren die einzige Form von Unterhaltung – und hier gab es nun gratis helle Lichter, silberne Trompeten und himmlische Verzückung – und mit etwas Glück den Himmel obendrein! Kein Wunder, dass viele Männer «darauf hereinfielen»; und Paul und seine kleine Rebellenschar behaupteten steif und fest, die Unternehmer hätten Eli zu diesem kritischen Zeitpunkt, in dem der Kampf um die Rettung der Gewerkschaft unmittelbar bevorstand, regelrecht engagiert. Bunny fand diesen Gedanken überzogen – doch dann fielen ihm die fünfhundert Dollar ein, die sein Vater Eli geschenkt hatte! Und auch an eine Bemerkung von Vernon Roscoe im Kloster musste er denken: «Sollen sie sich ruhig Luftschlösser bauen, solang sie mir meine Ölquellen lassen.» Annabelle hatte erschrocken gerufen: «Pst, Verne, so was Schlimmes darfst du nicht sagen!» Denn Annabelle wusste, dass die himmlischen Mächte eifersüchtig sind und zu grausamen Launen neigen.
    Auch die Wobblies versuchten, in ihren Mitgliedern den Geist des Aufbruchs

Weitere Kostenlose Bücher