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Öland

Öland

Titel: Öland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Steinbruch.
    Er war natürlich stillgelegt. Keiner brach hier mehr Kalkstein aus dem Berggrund. Auf einem Holzschild, das mit seiner abblätternden Farbe ganz schuppig aussah, ließ sich der
     Schriftzug STEINE IK erkennen. Eine Seitenstraße bog in die
     Alvar, doch die Straße und die braungelbe Landschaft verschwanden abrupt in einer breiten Grube. Julia ging bis zur
     Felskante, die steil nach unten abfiel.
    Der Steinbruch war nur etwa vier oder fünf Meter tief, aber
     größer als mehrere Fußballfelder. Jahrhundertelang hatten
     die Öländer Stein abgebaut, sich tief in den Berg gegraben –
     für Julia sah es allerdings so aus, als hätten alle eines Tages
     einfach aufgehört zu arbeiten. Unten im Kies lagen sogar noch
     fertig zugeschnittene Steinblöcke aufeinandergestapelt.
    Auf der anderen Seite des Steinbruchs standen große, helle
     Figuren auf der Alvar: Es war zu dunkel und die Entfernung
     zu groß, um Details erkennen zu können, aber nach einer
     Weile begriff Julia, dass es Skulpturen aus Stein waren. Offenbar handelte es sich um eine ganze Reihe von Kunstwerken
     in allen Größen. Kurz vor der Kante zum Steinbruch war ein
     mannshoher, spitz zulaufender Steinblock aufgestellt, der
     aussah wie eine mittelalterliche Kirche. Eine Kopie der Kirche von Marnäs vielleicht.
    Das mussten die Kunstobjekte Ernst Adolfssons sein.
    Hinter ihnen lag wie ein dunkelroter Würfel ein Holzhaus
     auf der Alvar, umgeben von niedrigen Bäumen und Wacholderbüschen, und daneben fDie Fischer hattenstand der verbeulte, bucklige Volvo.
     In mehreren Fenstern brannte Licht.
    Sie beschloss, sich Ernst Adolfssons Kunst am nächsten Tag
     genauer anzusehen, ehe sie Stenvik verlassen würde.
    Von hier aus konnte sie auch die Blaue Jungfrau als einen
     kleinen blaugrauen Hügel am Horizont sehen. Blauhügel wurde diese Insel auch genannt, auf der sich der Legende nach
     die Hexen trafen, um mit dem Teufel zu feiern. Niemand
     wohnte dort, die gesamte Insel war ein Nationalpark, aberman konnte Tagesausflüge dorthin unternehmen. Julia war
     einmal mit Lena, Gerlof und Ella dort gewesen.
    Es lagen viele wunderschöne Steine am Strand der Insel,
     aber Gerlof hatte sie davor gewarnt, etwas mitzunehmen.
     Das bringe Unglück, und sie hatte sich daran gehalten. Trotzdem hatte sie viel Unglück in ihrem Leben gehabt.
    Julia kehrte der Hexeninsel den Rücken zu und ging zum
     Bootshaus zurück.
    Zwanzig Minuten später saß sie auf dem Bett im Bootshaus, lauschte dem Wind und war hellwach. Gegen zehn
     versuchte sie einen der Liebesromane zu lesen, die sie mitgenommen hatte. Er hieß Geheimnisse auf dem Gutshof, las sich
     aber sehr mühsam. Sie klappte ihn zu und betrachtete den
     alten Kompass.
    Sie hätte längst wieder in Göteborg sein, in der Küche mit
     einem Glas Rotwein sitzen und auf die Laternen herabstarren
     können, die ihre menschenleere Straße beleuchteten.
    In Stenvik war es stockfinster. Sie hatte draußen auf die Toilette gemusst, war auf den Steinen herumgerutscht und um
     ein Haar nur wenige Meter vom Bootshaus entfernt gestürzt.
     Sie sah das Wasser im Dunkeln nicht, hörte nur das Brausen
     der Wellen und Rasseln der Kiesel, wenn sie am Strand aufschlugen. Am nachtschwarzen Himmel hingen dicke Regenwolken wie böse Geister, die hastig über die Insel zogen.
    Während sie mit entblößtem Hintern im Wind hockte,
     musste Julia unwillkürlich an das Gespenst denken, das eines
     Nachts Anfang des 20. Jahrhunderts hier am Strand erschienen war.
    Es war eine der Geschichten, die ihre Oma Sara in der
     Stunde der Schatten, der Geisterstunde, erzählt hatte: wie ihr
     Mann und seine Brüder an einem stürmischen Abend zum
     Ufer gegangen waren, um ihre Fischerboote vor den Sturmwellen in Sicherheit zu bringen und an Land zu ziehen.
    Als sie in der schäumenden See standen und an den Holzkähnenzerrten, tauchte plötzlich aus der Dunkelheit eine Gestalt auf, ein
     Mann in dickem Ölzeug, der anfing, an einem der Boote zu ziehen,
     aber in die andere Richtung, aufs offene Meer hinaus. Der Urgroßvater hatte ihn angeschrien und der Mann in sehr gebrochenem Schwedisch zurückgeschrien und dabei immerzu ein Wort wiederholt:
    »Ösel!«, hatte er geschrien. »Ösel!«
    Die Fischer hatten ihren Kahn festgehalten, bis der Mann sich
     plötzlich abwandte und spurlos in den tosenden Wellen verschwand.
    Julia beeilte sich, schnell zurück ins Warme zu kommen.
     Sie schloss die Tür hinter sich ab. Dann fiel ihr ein,

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