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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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fließenden Bewegung und enormer Beschleunigung kam er auf mich zu, rammte mich mit der Schulter wie ein American-Football-Spieler und stieß mich in die offene Tür einer Toilettenkabine. Mein Kopf schlug mit einem hässlichen Geräusch gegen die Toilettenwand, und sekundenlang spürte ich gar nichts. Dann kam der Schmerz. Die Wände der engen Kabine rasten auf mich zu und lösten sich in rot-schwarze Lichtblitze hinter meinen Augenlidern auf. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen ging ich auf die Knie, diesmal vor einer Kloschüssel, den Griff der Tasche immer noch fest in der Hand.
    Der Mann hinter mir hatte alle Zeit der Welt. Meine Sitzposition schien ihm offenbar zu gefallen, denn er stieß ein leises, amüsiertes Lachen aus, und durch dichte Schleier von Schmerz und Übelkeit hörte ich ihn die Tür von innen verriegeln. Ich zog die Tasche näher zu mir heran und schaffte es irgendwie, sie zwischen meine Knie und den Toilettensitz zu bekommen. Das schien ihn zu verärgern. Mit einem wütenden Zischen schnappte er nach meinem rechten Arm, drehte ihn mir auf den Rücken und riss ihn dann mit aller Gewalt nach oben. Es war der Arm, den Anna vorbehandelt hatte, aber das spielte keine Rolle mehr. Nichts von alledem, was ich je empfunden habe, war mit dem rasenden Schmerz vergleichbar, der jetzt meinen Arm hinaufschoss und in meiner Schulter explodierte. Ich bildete mir ein, das Gelenk knirschen zu hören. Meine linke, nutzlos herunterbaumelnde Hand tastete nach der Tasche und versuchte verzweifelt, den Reißverschluss zu öffnen. Mit irrsinniger Kraft wurde ich an den Haaren hochgerissen und mit dem Kopf in die Kloschüssel gedrückt. Mein Gesicht schlug auf kaltes Porzellan. Ich wollte schreien, bekam aber nur ein gurgelndes Geräusch heraus, und mein Mund füllte sich mit nach Pisse schmeckendem Wasser. In diesem Moment öffnete sich der Reißverschluss der Tasche ein Stück weit. Meine Hand glitt hinein, bekam einen Wollstoff zu fassen. Links, weiter links, verdammt. Ich ertrank. Bekam keine Luft mehr. Irgendetwas in meinem Kopf gab einfach nach. Warum auch nicht? Ein Tod in der Kloschüssel ist so gut wie jeder andere.
    Und dann hatte ich sie. Meine linke Hand umklammerte den Griff, der sich kühl und hart anfühlte, und ich schaffte es tatsächlich, die Waffe aus der Tasche herauszufummeln. Er muss es irgendwie mitbekommen haben, denn ich hörte einen überraschten Fluch in einer kehligen Sprache, und der Druck auf meinen nach oben verdrehten Arm lockerte sich ein wenig. Ich schob die Hand mit der Pistole durch meine gespreizten Oberschenkel nach hinten, zielte blind nach oben und drückte ab. Einen irrsinnigen Augenblick hatte ich Angst, mir selbst in den Unterleib zu schießen, und danach hörte ich irgendwie zeitverzögert den Schuss. Er war laut, sehr laut in der kleinen Toilette, aber nicht so laut, wie ich befürchtet hatte. Der Mann hinter mir ließ meinen Arm los und schien mit einem schabenden Geräusch zusammenzusacken. Ohne mich umzudrehen, begriff ich, dass er mit dem Rücken an der Toilettentür langsam zu Boden ging und mit einem dumpfen Geräusch unten ankam.
    Ich konnte mich nicht bewegen. Vorsichtig versuchte ich, meinen rechten Arm wieder in eine normale Position zu bringen, was beinahe genauso wehtat wie das Verdrehen. Dann, nach endlosen Minuten, streckte ich die Beine aus und kam, mit dem Rücken ans Klo gelehnt, zum Sitzen. Mein Kopf schien zu platzen, und in meiner Schulter pulsierte ein stechender Schmerz. Mein rechtes Auge war bereits zugeschwollen, aber das linke reichte völlig aus, um zu sehen, was ich angerichtet hatte.
    Wir saßen uns praktisch gegenüber. Er hatte kurzes, schwarzgraues Haar, ein kantiges, gut aussehendes Gesicht und dunkle Augen, aus denen er mich ungläubig anstarrte. Er stand unter Schock. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich bei dieser Nummer nicht sein erster Kandidat war. Offenbar war er sicher gewesen, ein langes und glückliches Leben zu führen, während er hier und da Leute ins Klo steckte. Dass jemand dabei nicht mitmachen könnte, war nicht eingeplant, und schon gar nicht war vorgesehen, dass er dabei etwas abbekam.
    Der Gestank nach Kordit und eine Überdosis Adrenalin verstärkten meine Übelkeit, aber am schlimmsten war das Blut. Mein Gegenüber trug eine dunkle Lederjacke über einem blassblauen Jeanshemd und eine ehemals helle Leinenhose, die innerhalb weniger Minuten von einer unvorstellbaren Menge Blut geflutet worden war. Mein Schuss

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