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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Nachbarkabine und schob mich dann selbst, auf dem Rücken liegend, hinterher. »Hab nicht erwartet, dass du so mager bist«, hatte Anna gesagt. »Be aware of limbo dancers«, dachte ich. Da war was dran. Das Letzte, was ich von ihm sah, war, dass auch seine linke Hand den Abbindknebel losgelassen hatte.
    Ich packte seine merkwürdige Pistole in Helens Tasche und war mit wenigen Schritten bei der Ausgangstür, aber ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Wer wartete da draußen auf mich? Was würden sie tun, wenn ich einfach ganz normal zur Tür herausspazierte? Ich glaubte nicht, dass sie mich in der Bahnhofshalle vor Dutzenden von Zeugen angreifen würden, aber mit Sicherheit würden sie hinter mir her sein. Und in meinem Zustand würde ich keinen guten Dr. Kimble abgeben. Mein rechter Arm war so gut wie gebrauchsunfähig, mir war speiübel, und ich hatte eine Heidenangst.
    Dann senkte sich die Türklinke, und die Entscheidung wurde mir abgenommen.
    Ich trat einen Schritt zurück hinter die Tür und ließ ihn hereinkommen. Er war sehr groß, aber er war allein.
    »Hallo! Valbon? Ku je ti? A eshte cdo gje ne regull?« rief er halblaut in Richtung Toiletten. Ich verstand kein Wort, aber es klang nach Balkan, Albanisch oder Serbokroatisch. Er drinnen statt ich draußen, das sah schon sehr viel besser aus. Ich ließ ihn ganz durch die Tür treten und räusperte mich leise. Er fuhr herum und erstarrte, als er Helens Pistole sah, die ich in der Linken hielt. Trotz seiner Größe sah er aus wie ein Mann, der sich schnell bewegen kann, und ich hatte nicht die Absicht, ihn näher an mich heranzulassen. Er trug eine Art blauen Handwerkeroverall mit einem Firmenlogo auf der Brust.
    »Du solltest dich um deinen Partner kümmern«, sagte ich und deutete mit der Pistole auf die Toilettenräume. »Er hat nicht mehr viel Blut.«
    Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht verstand.
    Dann schüttelte er ausdruckslos den Kopf und setzte sich in Bewegung. Ich sah, wie sich die Tür zum Toilettenbereich hinter ihm schloss, hörte das Zersplittern der Klotür und einen ächzenden, fassungslosen Laut.
    Dann machte ich, dass ich rauskam. Bevor ich im chaotischen Gewusel der Bahnhofshalle untertauchte, warf ich einen Blick zurück auf die Tür und das handgeschriebene Schild, das da hing.
    »Wegen Rohrbruch vorübergehend geschlossen!«
    Ein paar Leute starrten mich neugierig an, aber niemand beachtete mich wirklich. Ein weiterer Mann in einem blauen Overall war nicht zu sehen. Ich ging in eine Telefonzelle und wählte die Nummer der Notrufzentrale, die dort aushing.
    »Im Bahnhofsklo ist jemand schwer verletzt«, sagte ich und legte sofort auf.
    Ich ging raus auf den Bahnhofsvorplatz und fuhr mit dem Taxi zu Helens Wohnung. Der Taxifahrer betrachtete misstrauisch mein zerschlagenes Gesicht, während er mir das Wechselgeld herausgab. Ich war mir sicher, dass er sich diese Fahrt merken würde, aber das konnte ich jetzt nicht mehr ändern. Helens Wohnung war alles andere als ein sicherer Ort, aber einen anderen hatte ich nicht. So wie ich aussah, konnte ich auf keinen Fall ins Hotel zurück. Ich musste mit Anna sprechen, und ich wollte ungestört die Tasche durchsuchen. Ich brauchte ein Bad und ein Klo, in das mich niemand hineinstieß. Und mehr als jemals zuvor brauchte ich Helen.

Dreizehn
    A
    ls ich aufwachte, war sie da. Der brüllende Schmerz in meinem Kopf übertönte ihre Stimme, aber sie war da. Leise, verhaucht, intensiv und ungeduldig.
    Du musst aufwachen! Bitte! Ich muss wissen, was passiert ist.
    Ja, was war bloß passiert? Man hatte mich mit Eis beschmiert, mir den Arm ausgerenkt und anschließend versucht, mich im Klo zu ersäufen. Und dann hatte ich geschossen. Wenn sie nicht verblutet sind, dann leben sie noch heute. Hätte nicht passieren müssen, aber du weißt ja, wie es läuft.
    »Verdammt, nun wach endlich auf.«, sagte Anna jetzt mit ihrer richtigen Stimme und rüttelte an meiner Schulter herum.
    Vor Schmerz riss ich die Augen auf und erkannte ihr Gesicht direkt vor mir. Es sah sehr verändert aus. Die Piercings an den Nasenflügeln, den Augenbrauen und der Unterlippe waren verschwunden. Die Haut wies an den Stellen, wo das Metall gesessen hatte, eine deutliche Rötung auf, hatte sich aber bereits zusammengezogen. Kein Make-up mehr. Die Irokesenbürste war auch verschwunden. Sie hatte sich den Kopf ganz kahl scheren lassen und sah aus wie eine jüngere Version von Sigourney Weaver in

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