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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Alien 3. Die Punkklamotten hatte sie gegen einen dicken blauen Wollpullover, Jeans und Turnschuhe ausgetauscht.
    »Du zitterst«, sagte Anna sachlich.
    Ich sah mich im Zimmer um. Es war dämmerig, und sie hatte die kleine Lampe auf Helens Schreibtisch eingeschaltet. Ein warmes, vertrautes Licht. Ich lag auf der Ledercouch in Helens Wohnzimmer und fror. Die Reisetasche stand ungeöffnet neben der Couch. Anna hatte sich einen Stuhl herangezogen, auf dem sie rittlings hockte, und starrte mit einer Mischung aus Ärger und Besorgnis auf mich herab.
    »Wenn du das nächste Mal kotzt, ziehst du hinterher anständig ab. Das ganze Klo stinkt«, sagte sie.
    Ja, richtig. Das mit dem Kotzen wurde langsam zur Gewohnheit. Irgendwann musste ich mal wieder was drinbehalten. Ich nickte, einfach damit sie weitermachte.
    »Vierzig Kilometer vor Hamburg war ein Stau. Eine ganze verdammte Stunde habe ich da herumgehangen. Die Heizung von dem VW ist jetzt komplett im Eimer. Weißt du was – du siehst echt beschissen aus. Als wenn du fünf Schwarzenegger-Filme am Stück gesehen hättest. Was ist mit deinem Auge passiert? Ich mach dir einen Tee, und wenn du dann vielleicht so freundlich wärst, mir zu …«
    »Ich glaube, ich habe heute Mittag jemanden umgebracht.«
    Anna erstarrte in der Bewegung, ihre Augen wurden schmal und wachsam. Vorsichtig, als wäre der Stuhl aus Glas, setzte sie sich wieder hin. Sie sah mich an und sagte nichts.
    »Mach mal die Tasche auf!«
    Sie schob mit dem Fuß die Reisetasche näher heran und öffnete den Reißverschluss. Ihr Gesicht bekam einen überraschten und irgendwie faszinierten Ausdruck, der mir nicht gefiel.
    »Woher hast du die?«
    »Sie gehörte Helen, und ich weiß nicht, woher sie sie hatte. Aber um das Glück vollkommen zu machen, in der Seitentasche ist noch eine.«
    Anna schüttelte ungläubig den Kopf, beugte sich hinunter und befühlte die wuchtige Ausbeulung der Tasche, ohne die Tasche zu öffnen. Dann kam sie wieder hoch und lächelte. Es war die Art von Lächeln, das Leute aufsetzen, wenn sie Mühe haben, nicht zu schreien.
    »Wie wäre es jetzt mit ein paar Erklärungen?«, sagte sie leise.
    Und die gab ich ihr. Ich erzählte ihr von Kubens und dem Schlüssel im Locher, dem Schließfach, dem Eismann und wie das Ganze mit meinem Kopf im Klo endete. Aber das war nicht ganz korrekt. Geendet hatte es damit, dass ein Mann, den ich nicht kannte, auf den Kacheln der Bahnhofstoilette verblutete.
    »Große Scheiße, große Scheiße«, flüsterte Anna. Sie war jetzt sehr blass, und ihr Gesicht wirkte ohne Haare nackt und verletzlich. »Warum um Himmels willen hast du nicht die Bullen gerufen? Das war doch eindeutig Notwehr!«
    »Das hätte ich, wenn dieser zweite Typ nicht aufgetaucht wäre. Ich habe Angst gehabt, dass da noch mehr sind, und wollte einfach nur weg. Verstehst du, ich konnte dort nirgendwo auf die Polizei warten, und ich war völlig durchgedreht.«
    »Glaubst du, dass der Mann mit dem Eis da mit drinsteckt?«
    Die Frage hatte ich mir auch schon gestellt. Ich hatte mich halb aufgerichtet und war benommen von dem Schmerz, der in meinem Schultergelenk wütete. Anna fasste meinen unverletzten linken Arm und zog mich vorsichtig hoch. Als sie sich zurück auf den Stuhl setzte, schien ihr Gesicht etwas zu verschwimmen. Ich schloss das zugeschwollene Auge und starrte sie mit dem gesunden unfreundlich an.
    »Ist das wichtig?«
    »Ja, das ist wichtig«, sagte Anna. »Weil es nämlich ein Hinweis darauf ist, wozu die fähig sind. Nehmen wir einmal an, dass sie dir zur Redaktion gefolgt sind und von dort zum Bahnhof, selbstverständlich ohne dass du was gemerkt hast. Im Bahnhof haben sie gesehen, dass du etwas aus dem Schließfach genommen hast, und sie haben beschlossen, es dir wegzunehmen. Und alles, was jetzt kommt, ist eine absolut geniale Improvisation. Sie könnten dich noch in der Bahnhofshalle angreifen, aber das ist ihnen doch ein bisschen zu gefährlich. Dir den Koffer nach Verlassen des Bahnhofs abzunehmen, birgt das Risiko, dich im Verkehrsgewühl zu verlieren. Du könntest einfach ins erstbeste Taxi springen und dir dort die Tasche in aller Seelenruhe anschauen. Und das wollen sie auf keinen Fall. Also beschließen sie, zu improvisieren und dich in eine Falle zu locken. Der Plan ist aus dem Augenblick geboren und hat so viele Löcher wie meine alten Reeboks. Was ist, wenn du mit dem Eismann eine Schlägerei anfängst, statt brav aufs Klo zu laufen? Was ist, wenn sich noch mehr

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