Oelspur
bescheinigt. Die Umweltschützer fordern deshalb eine sogenannte Flaggenhaftung, das heißt, dasjenige Land, das ein Schiff registriert und dafür auch Steuern kassiert, müsste bei Schadensfällen in eine Vorleistung treten. Dann hätten die zulassenden Länder ein starkes Interesse daran, die Schiffe in gutem Zustand fahren zu lassen. Aber das ist reine Zukunftsmusik. Tatsache ist, dass sich die Kontrollgesellschaften und die Flaggenstaaten aus der Verantwortung ziehen und die von der IMO formulierten Sicherheitsnormen viel zu milde sind.«
Petersen schien fürs Erste fertig zu sein. Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und sah uns nachdenklich an.
»Es ist nett, mit euch zu plaudern«, sagte er schließlich. »Aber vielleicht könnte mir jetzt mal jemand verraten, worum es hier eigentlich geht?«
Mischka und Anna sahen mich an.
»Wir stellen ein paar Nachforschungen an über den Tod einer Journalistin, mit der ich befreundet war. Es deutet alles daraufhin, dass sie zuletzt an einer Story über Tankerhavarien und Umweltkatastrophen gearbeitet hat, und wir glauben, dass mit ihrem Tod etwas nicht stimmt.«
Petersen nickte abwartend und schwieg.
»Wir brauchen einfach Informationen zu dem Thema, weil wir selber keine Ahnung haben«, sagte Anna, »und ich habe auch gleich noch eine Frage: Wenn Sie Tankerunglücke, Umweltzerstörung und Lettland zusammendenken, was fällt Ihnen da spontan ein?«
»Ventspils«, sagte Petersen.
»Der Hafen?«
»Der größte Hafen in der Ostseeregion und unter den europäischen Häfen der mit dem größten Cargoumschlag. Unter russischer Herrschaft wurde Ventspils zum größten Ölhafen der UdSSR ausgebaut und zu einem bedeutenden Umschlagplatz für Kalisalze und Chemieprodukte. Ohne entsprechende Sicherheits- und Schutzvorkehrungen, versteht sich. Eine ökologische Zeitbombe. Es kam regelmäßig zu Umweltgefährdungen. Ausgelaufene Lagertanks, umgestürzte Chemiewaggons, irre Schadstoffkonzentrationen in der Luft und so weiter. Seit Lettland unabhängig geworden ist, hat sich einiges verbessert, aber nach wie vor verdienen die Letten kräftig an der Ausfuhr russischen Erdöls über Ventspils. Die sind hier in heftiger Konkurrenz zu den neu gebauten Ölverladehäfen in der Nähe von St. Petersburg, und weil die Russen sich einen Dreck um irgendwelche EU-Richtlinien scheren, drücken die Letten gezwungenermaßen auch jede Menge Augen zu.«
Petersen blickte uns der Reihe nach an und schien auf eine Reaktion von uns zu warten. Als niemand etwas sagte, fragte er:
»Was habt ihr denn jetzt eigentlich vor?«
»In den Unterlagen meiner Schwester haben wir einen Hinweis gefunden, dass ihre Nachforschungen mit etwas zu tun hatten, das in Lettland passiert ist«, sagte Anna. »Wir wollten dort hinfahren.«
Petersen grunzte unbehaglich.
Im Nebenzimmer klingelte ein Telefon. Sehr laut. Einer von diesen modernen, zwitschernden Klingeltönen. Mischka stand auf und ging ran. Wir hörten ihn nebenan leise sprechen und warteten schweigend. Als er zurückkam, brachte er vier Cognacgläser und eine Flasche Rémy Martin mit. Er goss die Gläser halb voll, schob jedem eins zu und genehmigte sich dann einen großen Schluck.
»Das war mein Bekannter von der Internet-Soko. Er hat die Identität von Ulf Jaeggi klären können. Ein kleiner Bankangestellter in Zürich. Mein Bekannter hat seine Beziehungen zur Schweizer Polizei spielen lassen.«
»Und?«, fragte Anna ungeduldig. »Was ist jetzt …«
»Er ist tot«, sagte Mischka. »Ulf Jaeggi wurde vor drei Wochen von einem Landrover überfahren. Fahrerflucht.«
Anna setzte ihr Glas mit einer heftigen Bewegung auf dem Tisch ab. Sie war sehr blass.
»Wer zum Teufel ist Ulf Jaeggi?«, fragte Petersen.
»Jemand, mit dem wir sehr gerne gesprochen hätten«, sagte Anna leise.
»Die Schweizer Polizei hat keine Spur von dem flüchtigen Fahrer. Zwei Zeugen wollen einen alten Geländewagen mit verschmutzten Kennzeichen gesehen haben. Keine näheren Angaben zum Fabrikat. Vielleicht ein Mitsubishi. Das war’s«, sagte Mischka.
Ole Petersen räusperte sich. Er drehte seine Pfeife zwischen den Fingern und sah uns dann der Reihe nach an.
»Also, wenn ich das bisschen, was ihr mir erzählt habt, mal zusammenfasse, sieht die Sache so aus: Irgendwo ist eine Sauerei passiert, die was mit Öl und Umweltzerstörung zu tun hat. Und mit ganz großem Geschäft. Innerhalb kürzester Zeit sind zwei Leute, die sich damit beschäftigt haben, tot. Und
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