Oelspur
Tote. Hatte er auch mit den Serben kollaboriert? Vielleicht war er mal in einem Lazarett eingesetzt gewesen? Möglicherweise in einem der UN-Flüchtlingslager. Aber es mussten noch mehr Leute beteiligt sein. Der Mann vom Bahnhof war nicht der Typ, mit dem Helen an der Bar eines Fitnessclubs etwas getrunken hätte. Es musste noch jemanden geben, der irgendwie kultivierter oder ungefährlicher gewirkt hatte. Oder vertrauter? Schließlich hatte sie sich eine Waffe besorgt, weil sie Angst hatte.
»Haben Sie irgendwelche Spuren von K.o.-Tropfen gefunden?«, fragte ich. Bärwald schüttelte den Kopf und sah mich fragend an.
»Mir geht die Frage nicht aus dem Kopf, wieso sie aufgestanden und mit ihm mitgegangen ist. Und das, obwohl sie ängstlich und misstrauisch war.«
»Dass wir nichts gefunden haben, heißt, dass nichts da war«, sagte Bärwald. »Schauen Sie, der Teufel steckt wie immer im Detail. Wollen Sie es genau wissen?«
Ich nickte. Bärwald warf einen Blick auf seine Armbanduhr, legte die Fingerspitzen aneinander und machte dann – wieder ganz Professor – weiter.
»Als K.o.-Tropfen bezeichnet man Wirkstoffe, die vor allem in Kombination mit Alkohol zu einer rasch eintretenden Bewusstlosigkeit führen können. Sehr oft werden sie in Zusammenhang mit Raub- oder Sexualdelikten verabreicht. Früher wurden gern Chloralhydrat und Barbiturate benutzt, heute stehen Benzodiazepine hoch im Kurs, insbesondere Flunitrazepam. Kennen Sie das? Das ist der Wirkstoff in Rohypnol – das Zeug, das als Vergewaltigungsdroge bekannt geworden ist. Rohypnolpillen lösen sich in Flüssigkeit in Sekundenschnelle auf, sind geschmack- und geruchlos, wirken angstlindernd und innerhalb von Minuten. Die Opfer agieren, als seien sie nur ein wenig angetrunken. Tatsächlich ist ihr Bewusstsein aber quasi ausgeschaltet, während ihr Körper mehr oder weniger willenlos funktioniert.«
»Und man kann das Zeug nicht nachweisen?«
Bärwald grunzte resigniert.
»Doch. Die Biotransformation von Benzodiazepinen erfolgt in der Leber. Die Metabolisierung ist besonders vielfältig: Desaminierung, Acetylierung, N-Oxidation und Hydrolyse, um nur einige zu nennen, führen zu zahlreichen Abbauprodukten. Die Nachweisdauer im Urin beträgt bei therapeutischer Dosierung ungefähr drei Tage, im Blut einige Stunden bis Tage. Das macht den Nachweis bei lebenden Opfern manchmal sehr problematisch, aber – es tut mir leid, Frau Jonas war tot. Ihre Leber konnte die Droge nicht mehr abbauen. Und das heißt, wir hätten sie finden müssen.«
Ich versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen. Was hatte ich erwartet? Eine naturwissenschaftliche Erklärung dafür, warum Helen lauter Dinge getan hatte, die ich nicht verstand? In meinem Hals saß ein trockener Pfropfen, den ich nicht hinunter bekam. Bärwald, der offenbar auch ein Herz für lebendige Patienten hatte, stand auf und angelte aus seiner Schreibtischschublade eine Flasche undefinierbarer Herkunft, die es irgendwie geschafft hatte, in der Schublade einzustauben. Ich nahm einen kräftigen Schluck, aber es half nicht viel. Der Schnaps war grauenvoll. Was hatte Geldorf gesagt, als ich vor einer kleinen Ewigkeit auf dem Polizeirevier gewesen war? Nein, Born hatte etwas gesagt. »Sie hat zwischen sieben und acht an der Bar gesessen und etwas getrunken. Einige der Gäste, die sie überhaupt gesehen haben, sagen aus, dass sie sich mit einem Mann unterhalten hat, der neben ihr saß. Gegen acht ist sie aufgestanden und war etwas unsicher auf den Beinen. Gegen halb zwölf Uhr kommt ein Reinigungsdienst. Der hat sie gefunden.«
»Hören Sie«, sagte ich, »wenn er niedrig dosiert hat, mit einem guten Auge für ihr Körpergewicht, und ihr das Zeug, sagen wir mal, um 19.30 Uhr ins Glas gekippt und sie um 23 Uhr getötet hat, wäre es denkbar, dass sich die Droge in der Zeit zumindest so weit abgebaut hatte, dass Sie sie nicht mehr feststellen konnten?«
»Dreieinhalb Stunden?« Bärwald wiegte seinen Kopf hin und her. »Vielleicht. Ganz unmöglich ist es nicht. Aber wissen Sie auch, was das hieße? Er hätte sie irgendwann gegen acht Uhr in die Saunakabine verfrachtet und bei ihr drei Stunden gewartet, bevor er sie tötete?«
Ich nahm noch einen Schluck von Bärwalds Fusel und starrte ihn wütend an.
»Haben Sie nicht selbst gesagt, wir suchen einen äußerst kaltblütigen Mörder mit medizinischen Kenntnissen?«
»Ja«, sagte Bärwald schleppend, »vor allem, wenn man bedenkt, dass das Dreckschwein dabei auch
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