Oelspur
Fünftausend-Dollar-Budget untersucht wird. Aber immerhin, die technischen Finessen, die da gezeigt wurden, gibt es tatsächlich. Sogar bei uns. Nur dass kein politisches Interesse besteht, dafür Geld auszugeben.«
»Worauf wollen Sie hinaus? Dass kein Geld da war, um Frau Jonas anständig zu untersuchen?«
Bärwald schüttelte den Kopf.
»Das haben wir gemacht. Der Staatsanwalt wollte es, und ich wollte es ganz besonders. Aber ansonsten ist die Zahl der Obduktionen, die in Deutschland bei unklaren Todesfällen durchgeführt werden, verschwindend gering. Überall werden gerichtsmedizinische Institute aus Kostengründen geschlossen. Die knapp 500 Gerichtsmediziner hierzulande haben in der deutschen Ärzteschaft keine Lobby, und die Toten können gegen Sparmaßnahmen nicht mehr demonstrieren gehen.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Um Ihnen klarzumachen, dass der Tod von Frau Jonas normalerweise als völlig unauffälliger Herzstillstand durchgegangen wäre. Nur auf persönliche Intervention des Staatsanwalts hat überhaupt eine Obduktion stattgefunden.«
»Frau Jonas ist beerdigt, und Sie haben den Fall abgeschlossen. Geldorf sagt, Sie haben in ihrem Körper nichts gefunden, was da nicht hingehört. Was wollen Sie jetzt noch von mir?«
Ich war mit meiner Geduld am Ende.
»Kaliumchlorid«, sagte Bärwald fröhlich. »Ich kann es nicht beweisen, und ich erzähle es auch nur Ihnen. Aber ich glaube, dass Frau Jonas mit Kaliumchlorid getötet wurde!«
Er lehnte sich erneut zurück und schien offensichtliches Vergnügen an meiner Verständnislosigkeit zu haben. Mit seinem grauen Pferdeschwanz sah er aus wie ein gut gelaunter Schamane, der gerade den ganzen Stamm aufs Kreuz gelegt hat, und ich konnte beinahe seine Gedanken lesen: Yeah, baby, ich habe ihn auch, den Quincy-Riecher!
»Kaliumchlorid in bestimmter Dosis bewirkt einen Herzstillstand.« Bärwald hatte seinen kleinen Höhenflug gehabt und sprach jetzt mit nüchtern dozierender Stimme weiter. »Es wird in den USA bei Hinrichtungen benutzt und hierzulande zum Beispiel bei Schwangerschaftsabbrüchen. Es wird intravenös verabreicht, daher die winzige Einstichstelle in Frau Jonas’ Armbeuge. Unser Problem mit dem Zeug besteht darin, dass auch in einem gesunden Körper Kaliumchlorid vorhanden ist und dass die Muskulatur es zum Zeitpunkt des Todes noch einmal verstärkt freisetzt. Der Nachweis von Kaliumchlorid bei einer Autopsie beweist also noch gar nichts. Es kommt auf die Menge an, und auch da streiten sich die Gelehrten, weil es sich nach dem Tod relativ zügig wieder abbaut. Also um es kurz zu machen: Für meinen Geschmack war zu viel davon da, und der Rest ist Intuition.«
»Aber wieso gibt es dann mit dem Befund kein Ermittlungsverfahren? Hat der Staatsanwalt kein Vertrauen in Ihre Untersuchungen?«
»Es ist eine Ermessensfrage. Was ist ein hinreichender Verdacht auf Fremdeinwirkung? Vom Zeitpunkt des Todes bis zur Obduktion sind bei Frau Jonas mehr als achtundvierzig Stunden vergangen. Für diesen relativ langen Zeitraum war für mein Gefühl etwas zu viel Kaliumchlorid nachweisbar. Aber ich habe Ihnen gleich gesagt, ich kann es nicht beweisen. Wahrscheinlich können Sie lässig drei Kollegen von mir aufmarschieren lassen, die Ihnen versichern, dass der Befund in Ordnung geht.«
Aber die haben nicht den Quincy-Riecher, dachte ich. Das offizielle Verfahren war abgeschlossen, und er hätte einfach zur Tagesordnung übergehen können, aber sein Ego und sein Gerechtigkeitssinn ließen das nicht zu. Trotz seiner skurrilen Eitelkeit wurde Bärwald mir zunehmend sympathischer.
»Ist Ihnen klar, was das bedeutet, wenn ich recht habe?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie suchen einen äußerst kaltblütigen Mörder mit medizinischen Kenntnissen! Kaliumchlorid ist kein Gift, sondern ein Salz, das zum Beispiel auch in Krankenhäusern Infusionen beigegeben wird. Wie gesagt, erst in einer bestimmten Dosis hat es verheerende Auswirkungen auf die Herztätigkeit. So was muss man wissen. Er muss kein Arzt sein. Vielleicht ein abgebrochener Medizinstudent oder ein Krankenpfleger. Jemand, der mal in einem Krankenhaus oder Pflegeheim gearbeitet hat. Dort ist es auch am leichtesten zu beschaffen.«
Ich dachte an den Mann im Bahnhofsklo und versuchte mir vorzustellen, wie er vor seinem schwer verletzten Kumpan hockte und überlegte, was zu tun war. Und dann in aller Ruhe den Schalldämpfer aufschraubte und ihm den Kopf wegschoss. Er war Kosovo-Albaner, ebenso wie der
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