Oelspur
Schiffe.«
Anna strahlte Petersen über den Tisch hinweg an und raspelte Süßholz.
»Na ja, eigentlich bin ich von Berufs wegen damit beschäftigt, dass Schiffe nicht untergehen, aber er hat recht: Mit denen, die untergegangen sind, kenne ich mich auch ganz gut aus. Antike und mittelalterliche Seefahrt sind nicht so mein Gebiet, aber ab dem 15. Jahrhundert, also etwa ab Kolumbus und Konsorten, bin ich ziemlich sattelfest. Ihr seht aber nicht aus wie Schatztaucher.«
Anna lachte herzlich.
»Nein«, sagte sie, »und wir können es auch zeitlich eingrenzen, sagen wir: auf die letzten dreißig Jahre. Wieso gehen Schiffe überhaupt unter?«
Petersen runzelte erstaunt die Stirn.
»Also erst mal würde ich sagen, aus dem gleichen Grund, warum Flugzeuge abstürzen oder Autos verunglücken. Immer wenn Menschen etwas tun, gibt’s eine bestimmte Fehlerquote. Das Untergehen gehört zur Seefahrt wie das Stolpern zum Laufen. Dann gibt’s natürlich historisch unterschiedliche Gründe. Die Schiffe früherer Jahrhunderte hatten ja zum Beispiel keinen Funk, kein Radar oder GPS, fuhren nach mangelhaften Seekarten und waren nicht so stabil wie die heutigen. Insofern sind sie natürlich häufiger einfach Opfer von Stürmen und widrigen Wetterbedingungen geworden.«
»Bleiben wir ruhig mal bei heute und, sagen wir mal, bei Öltankschiffen.«
Petersen zögerte etwas, sah uns fragend an und pfiff leise durch die Zähne.
»Das ist eine sehr spezielle Baustelle.«
»Wieso?«
»Weil eine Tankerhavarie sehr oft zu einer ökologischen Katastrophe führt und die schadens- und zivilrechtlichen Konsequenzen enorm sind.«
»Was sind denn heutzutage die Ursachen, warum ein Schiff untergeht?«
»Nun ja, allgemein gesprochen entstehen Schiffsunfälle meistens durch Aufgrundlaufen, Kollisionen, Feuer oder Maschinenschaden. Normalerweise unterscheidet man allgemeine und direkte Ursachen. Bei den allgemeinen Ursachen spielt vor allem die rapide Steigerung des Verkehrsaufkommens eine Rolle. Gehen Sie mal davon aus, dass mittlerweile circa vierzig Prozent des weltweiten Rohöls auf dem Seewege transportiert werden. In den letzten 35 Jahren hat sich die Öl-Lademenge um mehr als fünfzig Prozent erhöht. Tendenz steigend. Auf der Ostsee sind zum Beispiel ständig ungefähr 2000 Schiffe unterwegs, davon sind etwa 30 Öltanker. Es gibt 130 Schifffahrtsrouten für gefährliche Transporte, und es werden etwa 150000 Tonnen gefährliche Materialien pro Monat transportiert. Die hypothetische Unfallwahrscheinlichkeit liegt bei einem Schiff pro Jahr.«
»Gut«, sagte Anna, »das verstehe ich. Es ist wie beim Straßenverkehr. Das zunehmende Verkehrsaufkommen erhöht das Unfallrisiko. Aber die Schiffe sind doch mit modernster Navigationstechnologie ausgerüstet, und die Kapitäne sind ausgebildete Spezialisten. Es muss doch möglich sein, dass die heil aneinander vorbeikommen.«
»Theoretisch ja, in der Praxis häufig nicht. Der Vergleich mit dem Straßenverkehr ist auch nur bedingt zutreffend, weil die Ozeane nun mal erheblich unberechenbarer sind als asphaltierte Straßen, und dann gibt es auch noch so etwas wie den menschlichen Faktor.«
Anna hob erstaunt die Augenbrauen.
»Na ja«, sagte Petersen geduldig, »es kommt zum Beispiel immer wieder mal vor, dass Kapitäne einfach betrunken sind oder sich aus weiß der Teufel welchen Gründen nicht an die in den Seekarten ausgewiesenen Tiefwasserrinnen halten. Nehmen Sie zum Beispiel die Kadetrinne hier in der Ostsee, circa zwanzig Seemeilen lang und drei Seemeilen breit, Wassertiefe elf bis dreißig Meter, an einigen Stellen auch etwas weniger. Etwa 50000 Schiffe fahren da jährlich durch auf dem Weg in die östliche Ostsee und umgekehrt, und immer wieder kommt es zu Grundberührungen auch von Tankschiffen und Massengutfrachtern einfach nur, weil beschissen navigiert wird.«
»Also Unfähigkeit und Suff?«, fragte Anna ungläubig.
Petersen blinzelte irritiert und fing anschließend an zu grinsen.
»Ja«, sagte er, »wie so oft im Leben, aber interessanter sind eigentlich die sogenannten direkten Ursachen. Nummer eins ist der Zustand der Tankerflotte. Mehr als die Hälfte der Öltanker sind älter als fünfzehn Jahre, und die meisten von ihnen sind in einem erbärmlichen Zustand, sehr viele von ihnen noch Einhüllentanker …«
Petersen machte eine Pause, um seine Pfeife zu stopfen, und sah wohl das Unverständnis in unseren Gesichtern.
»Einfache Bordwand«, sagte er. »Wenn das Schiff
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