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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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ihr drei wollt da jetzt auf eigene Faust Nachforschungen anstellen. In Lettland! Ihr seid nicht ganz dicht.«
    »Er hat recht«, sagte Mischka nach einer Weile, »es ist zu gefährlich. Wir müssen versuchen, die Polizei oder irgendeine Behörde einzuschalten.«
    Ich dachte an Geldorf und den Toten auf dem Bahnhofsklo. Das war ein Fall, an dem Geldorf interessiert war und den er liebend gerne mit mir in Verbindung gebracht hätte, aber die beiden Pistolen waren heute am frühen Nachmittag blank gewienert und gut verschnürt im Hafenbecken gelandet, und für meinen Teil war es das. Die Frau mit Herzstillstand in der Sauna war ein abgeschlossener Fall, und für Geldorf gab es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Helen und dem Tod von Ulf Jaeggi. Ich hätte ihm den Zusammenhang liefern können, aber dann hätte ich ihm alles erzählen müssen. Von der Reisetasche, der E-Mail aus der Schweiz und meinem fatalen Schuss in der Klozelle. Und er hätte wissen wollen, warum ich das alles verschwiegen hatte, und das hätte ich selbst gern gewusst. Geldorf konnte mich mal.
    Petersen nippte an seinem Cognac und leckte sich genießerisch über die Lippen.
    »Okay, okay«, sagte er dann, »ich sehe schon, dass ich hier niemanden von irgendetwas abhalten kann.«
    Er kramte in seiner Jackentasche, holte einen Zettel heraus, schrieb mit einem Bleistiftstummel etwas darauf und reichte ihn mir.
    »Wenn ihr tatsächlich nach Ventspils fahrt, sprecht mit diesem Mann. Vielleicht kann er euch helfen. Könnt ihr Russisch?«

Zwanzig
    A
    m nächsten Tag traf ich Professor Bärwald. »Der leitende Pathologe möchte Sie gerne sprechen«, hatte Geldorf gesagt, als er sich in Helens Wohnung noch einmal umgedreht hatte. Alles in mir sträubte sich dagegen, noch einmal ins gerichtsmedizinische Institut zu fahren, aber die Vorstellung, einfach zu akzeptieren, dass Helen eines natürlichen Todes gestorben sein sollte, war bei Weitem schlimmer.
    Ich saß in Bärwalds Arbeitszimmer und betrachtete die medizinhistorischen Darstellungen von Leichenöffnungen, mit denen sämtliche Wände gepflastert waren. Sozusagen ein Streifzug durch die Obduktion im Wandel der Zeiten. Prunkstück der Sammlung war das große Farbfoto eines Präparats aus der berüchtigten Körperwelten-Ausstellung: Gunther von Hagens’ Der Schachspieler. Dieses schöne Beispiel dafür, wie man mit anderer Leute Leichen reich und berühmt werden konnte, hatte es dem Professor offenbar angetan.
    Mit der typischen Mischung aus Widerwillen und Faszination, die einen dazu bringt, bei einem grauenhaften Verkehrsunfall unbedingt hin gucken zu wollen, starrte ich auf das Foto, als Bärwald zur Tür hereinrauschte. Sein Blick huschte von dem Bild zu meinem Gesicht, er grinste.
    »Was halten Sie davon? Geschmacklos? Ekelhaft und unwürdig? Ach was! Alles moralischer Quark, der nur davon ablenkt, wie wir alle mal enden. Also: Genießen Sie Ihr Leben, solange Ihre Haut noch an Ihnen dran ist. Das ist die Quintessenz der Körperwelten!«
    Professor Bärwald war ein großer, magerer Mann Anfang fünfzig, der sein schulterlanges, graues Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Er hatte ein schmales, asketisches Gesicht und sehr blasse Haut. Hinter funkelnden Brillengläsern schauten mich dunkle Augen aufmerksam an. Dann zog er seinen weißen Kittel aus, warf ihn achtlos auf den Tisch, schubste einen Stapel Bücher von einem der Stühle und setzte sich mir gegenüber.
    »Dr. Nyström, nehme ich an?«
    Ich nickte.
    »Ich wollte mit Ihnen über Frau Jonas sprechen!«
    Ich nickte wieder nur.
    »Ist was mit Ihrer Stimme?«, fragte Bärwald.
    »Ich dachte, Sie haben nichts gefunden!«, sagte ich.
    »Nichts, was den Staatsanwalt interessiert. Aber vielleicht etwas, das Sie interessiert.«
    »Schießen Sie los!« Ich versuchte, ruhig zu wirken.
    Bärwald lehnte sich zurück, machte eine schöne, kleine, theatralische Pause und ließ mich zappeln.
    »Wissen Sie«, sagte er schließlich, »ich bin mit Quincy groß geworden. Kennen Sie den noch? Den Großvater aller TV-Gerichtsmediziner. Quincy kriegte sie alle. Kein Gift zu selten, keine Todesursache zu abwegig. Er hatte den ultimativen Riecher für unnatürlichen Tod. Hat mir schon als Schüler sehr imponiert. In den Neunzigern kamen dann aus Amerika die »Crime Scene Investigation«-Filme. CSI – Las Vegas und die Ableger. Smarte Hightech-Bubis, die einem weismachen wollten, dass in den USA noch der Tod jedes Crackdealers mit einem

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