Oelspur
Sie Maître Villani aus Brüssel?«
»Ja.«
»Sie sind entspannt und ruhig, und es geht Ihnen gut?«
»Ja.«
»Sie wissen, wo sich Anna Jonas befindet?«
»Ja.«
»Sagen Sie mir bitte, wo das ist!«
Villani zögerte. Offenbar versuchte er, sich zu konzentrieren, sich gegen das Abgleiten seines Verstandes zu wehren, aber es funktionierte nicht.
»Sie haben sie bei sich. Die Männer, die nach mir kommen.«
»Haben diese Männer auch Helen Jonas getötet?«
»Nein!«
»Was sind das für Leute?«
Villani schien sehr ernsthaft über diese Frage nachzudenken. Eine Minute verstrich.
»Albaner«, sagte er dann leise, »sehr gefährlich. Einer ist jetzt auch tot.«
»Wie viele sind es noch?«
»Drei.«
»Woher kommen sie.«
»Bosnien. Aus dem Bürgerkrieg. Sie waren Soldaten.«
»Was haben Sie mit denen zu schaffen?«
Villani schien jetzt etwas schläfriger zu werden und hatte angefangen, leicht zu nuscheln.
»Wir haben sie bezahlt«, sagte er undeutlich.
»Maître Villani, überlegen Sie jetzt genau: Wer hat Helen Jonas getötet?«
»Er hat es selbst gemacht.«
»Wer?«
Diesmal zögerte er sehr lange. Er schien Mühe zu haben, sich an den Namen zu erinnern, vielleicht versuchte er aber auch ein letztes Mal, sich gegen die Droge zu wehren.
»Monsieur Morisaitte«, sagte er schließlich.
»Monsieur Morisaitte ist der Chef Ihrer Firma?«
Villani schüttelte langsam und nachdrücklich den Kopf. Er schien immer mehr zu ermüden, und ich begann, mir Sorgen wegen der Dosierung zu machen.
»Schauen Sie mich an, Maître! Was tut Monsieur Morisaitte?«
Er versuchte es, aber sein Blick irrte ziellos durch den Raum. Die Zeit lief aus. Ich schaute auf meine Uhr. Dann gelang es ihm noch einmal, mich anzusehen.
»Operative Director«, sagte er, »er macht die schmutzigen Sachen. Niemand will wissen, was er tut.«
»Ich will es wissen!«
Er stieß einen resignierten Seufzer aus.
»Wir nennen es aktive Neutralisation. Bestechung, Desinformation der Öffentlichkeit, gefälschte Umweltgutachten. Er hat Spitzel bei Greenpeace eingeschleust. Und …«
Villanis Kopf war auf die Brust gesunken, und er war mitten im Satz eingeschlafen. Die Dosis war tatsächlich etwas zu hoch gewesen, aber es hatte sich trotzdem gelohnt. Max Althaus hatte sich sein Weißbier verdient.
Falls ich es schaffte, lebend nach München zurückzukommen.
Villani brauchte eine knappe Viertelstunde, um wieder wach zu werden. Er wirkte desorientiert und deprimiert. Ich band ihn vom Stuhl los und schleppte ihn zum Sofa. Dort lag er still auf der Seite und blickte mich aus leeren, verträumten Augen an.
»Ich habe Sie angelogen«, sagte er nach einer Weile. »Mit dem Geld. Die werden Sie nicht am Leben lassen. Mich wahrscheinlich auch nicht, nach dem, was passiert ist.«
Ich sah schweigend aus dem Fenster. Es war sehr schnell dämmerig geworden. Vor mir lagen die flache Weidelandschaft und ein Kanal, der auf beiden Uferseiten von Bäumen gesäumt wurde. Im verblassenden Tageslicht zeichneten sich die Umrisse der Bäume scharf gegen den Himmel ab. Es gefiel mir. Ich war noch nie in Flandern gewesen, aber das hatte nichts zu sagen. Ich hatte ja auch keine Ahnung gehabt, wie fabelhaft sich eine Schrotflinte anfühlt.
Ich zündete die Petroleumlampen an, die ich aus dem Schuppen geholt hatte, bevor Villani kam.
»Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?«
Seine Stimme klang jetzt weniger feindselig. Ich nickte.
»Sie sind mir gefolgt. Mindestens zwei, vielleicht mehr. Ich hätte längst wieder bei ihnen sein sollen. Jetzt wissen sie, dass etwas nicht stimmt. Sie sind irgendwo da draußen. Machen Sie das Licht aus!«
Es war jetzt draußen fast dunkel. Das Flackern der Öllampen tauchte den Raum in ein unwirkliches Licht. Ich ging zum Sofa hinüber, betrachtete Villanis zerschlagenes Gesicht und gab ihm noch etwas Wasser. Vielleicht brauchte ich ihn noch.
Er hatte recht mit dem Licht. Widerwillig löschte ich die Lampen, und augenblicklich umfing uns eine beinahe vollständige Dunkelheit. Ich setzte mich auf einen der wackeligen Stühle und richtete den Lauf des Gewehrs auf die Tür. Die zwölf Patronen, die noch in der Schachtel waren, stellte ich in einer Reihe vor mir auf dem Tisch auf. Zwölf war eine gute Zahl. Zwölf Apostel, zwölf Geschworene, zwölf Schuss.
Danach begann das Warten.
Zweiunddreißig
S
ie ließen sich Zeit. Es war fast zehn Uhr, als ich den Wagen hörte. Ich stopfte mir die Patronen in die Hosentasche, richtete
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