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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Doch es gab noch eine andere Option, und von der wusste er nichts.
    Ich legte das Gewehr beiseite, zog das Ziertaschentuch aus der Brusttasche seines edlen Sakkos und wischte ihm damit das Blut von Nase und Mund ab. Er gab keinen Laut von sich und starrte mich hasserfüllt an.
    »Schauen Sie, Maître Villani, lassen wir doch das Mädchen noch einen Augenblick beiseite. Es gibt so viele Dinge, die ich gerne verstehen würde, dass ich wirklich froh bin, Sie zu treffen. Also, wir machen das so: Ich erzähle Ihnen mal, was meiner Meinung nach passiert ist, und immer wenn ich nicht mehr weiterweiß, helfen Sie mir auf die Sprünge. Und wenn ich fertig bin, erzählen Sie mir, wo Anna Jonas ist. D’accord?«
    Villani sagte nichts und behielt das Gewehr im Auge. Ich machte es mir wieder auf der Tischkante bequem.
    »Sehen Sie, ich habe mich ein bisschen schlaugemacht und werde mich so kurz wie möglich fassen. Es geht um Geld und Öl. Wenn man das braune Gold irgendwo auf dem Globus aus der Erde holt, muss es dahin transportiert werden, wo man ein Geschäft damit machen kann. Und das wird nun mal gerne mit Tankschiffen gemacht. Dieser Transport muss aber möglichst billig sein, wenn der Gewinn am Ende stimmen soll. Also wird gespart. An den Schiffsbesatzungen und vor allem bei der Sicherheit der Öltanker.
    Wenn Sie mir die saloppe Formulierung gestatten: Die Welttankerflotte ist ein mobiler Schrottplatz. Mit schöner Regelmäßigkeit säuft eine von den schwimmenden Rostlauben ab und richtet eine Riesensauerei an – Exxon Valdez, Erika, die Prestige, zuletzt die Alhambra. Wie sagte der dänische Lotse der Prestige so schön: Eine geschminkte Leiche habe er durch den Großen Belt gebracht, bei der weder das Radarsystem noch die Anti-Kollisionsausrüstungen funktionierten, und die er nie wieder in seinen Gewässern sehen wolle. Kein Problem, denn die Prestige liegt ja jetzt in zwei handlichen Teilen vor der galicischen Küste. So ähnlich war es auch mit der Alhambra. Was aber das richtig Schöne an der Sache ist: Wie all die anderen Schiffe hatte auch die Alhambra gültige Zertifikate einer Kontrollgesellschaft, die ihr Hochseetüchtigkeit bescheinigten. Das sind meist private Firmen, die kommerziellen Zwängen unterliegen. Aber das wissen Sie ja! Prüfen sie zu streng, verlieren sie den Kunden. Also werden die Zertifikate äußerst großzügig ausgestellt, was auch überhaupt kein Problem ist, weil die Kontrollgesellschaften nicht haften müssen, wenn so ein zertifizierter Schrotthaufen den Meeresboden kennenlernt. Und auch sonst haftet so gut wie nie jemand für irgendwas wirklich. Dafür sorgt das System der Billigflaggen. Am beliebtesten sind Tonga, Liberia und Panama. Aber auch die Flaggenstaaten haften natürlich für nichts.
    Es ist ein Riesenkuddelmuddel. Die Prestige zum Beispiel fuhr unter der Flagge der Bahamas. Das Schiff gehörte einer griechischen Reederei mit Sitz in Liberia und fuhr in Charter einer Schweizer Firma, die aus Russland finanziert wird. Langweile ich Sie?«
    Villani zuckte vor Schreck zusammen und schaffte es, seinen Blick von dem Schrotgewehr abzuwenden, das er die ganze Zeit unter schläfrig herabhängenden Lidern wie hypnotisiert angestarrt hatte.
    »Bleiben Sie noch einen Moment auf Empfang, Maître, ich komme gleich auf den Punkt. Also, die Reedereien und Ölkonzerne sparen an der Sicherheit der Schiffe, die Kontrollgesellschaften kontrollieren nachlässig, die Billigflaggenstaaten bekommen ihren Anteil vom Profit, und der Verbraucher hierzulande will schließlich auch billiges Öl. Die Weltmeere werden also in einem Tempo versaut, dass einem schwindelig wird, aber – und jetzt kommt’s: Das alles ist weltweit bekannt und völlig legal. Jeder weiß, dass das Geschäft genau so funktioniert, und abgesehen von ein paar Umweltschützern regt sich kein Schwein darüber auf.«
    Villani schüttelte stumm den Kopf und schien etwas sagen zu wollen, aber er tat es nicht. Seine Nase hatte wieder angefangen zu bluten, und er leckte mit der Zunge einen Blutstropfen ab, der seine Oberlippe erreicht hatte. Aber ich war noch nicht fertig.
    »Und sehen Sie, Maître, da ist etwas, was ich überhaupt nicht kapiere. Wenn das alles so ist, wieso bezahlen dann Leute, für die Sie arbeiten, an Vorstandsmitglieder von Zertifizierungsfirmen und Hafenstaatkontrolleure in Ventspils und anderswo große Summen Schmiergelder? Waren die noch nicht entgegenkommend genug? Und was ist daran so weltbewegend, dass ein

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