Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
Vom Netzwerk:
registrierte ich, dass Villani verstummt war.
    Zügig kroch ich weiter im Halbkreis nach links durch das hohe, nasse Gras, bis ich auf den Weg traf, der zum Haus führte, und befand mich drei Minuten später etwa zwanzig Meter hinter ihrem Wagen. Es war der schwarze Audi A8, den wir in Lettland gesehen hatten.
    Ich kauerte mich tiefer ins Gras und schaute mich nach allen Seiten um. Hatte der zweite Mann das Haus wieder verlassen? Vielleicht war er durch das gleiche Fenster wie ich ins Freie gelangt und befand sich jetzt irgendwo hinter mir. Wie viel Zeit war vergangen, seit ich geschossen hatte? Maximal zehn Minuten. Eher weniger. Ich beschloss zu warten.
    Noch einmal etwa zwanzig Minuten vergingen, bis ich ein leises Schlurfen, eigentlich mehr ein Schaben hörte. Ein Geräusch, das entstehen mochte, wenn sich ein schwerer Körper auf Händen und Knien über einen Waldweg schob. Ich umfasste mit beiden Händen die Läufe von Gunnars Gewehr und duckte mich, so tief es ging. Sehr langsam und beinahe lautlos schob sich von links ein flacher großer Schatten heran, dessen Umrisse mit der Umgebung zu verschmelzen schienen. Das musste der Mann sein, der so verblüffend schnell im Haus verschwunden und nicht wieder herausgekommen war. Ganz offensichtlich hatte er den gleichen Weg genommen wie ich. Er ging sehr tief gebeugt und kroch an einigen Stellen, an denen ihm wohl die Deckung nicht ausreichend erschien, tatsächlich auf Händen und Knien. Ob er eine Waffe hatte, war nicht zu erkennen. Etwa zwei Meter links von mir schien er zu zögern und verharrte dann in seiner tief geduckten Haltung. Ich hörte ihn durch die Nase Luft ziehen wie ein Tier, das Witterung aufnimmt, und war auf einmal sicher, dass er meine Angst riechen konnte. Denn auch ich konnte ihn riechen. Er roch intensiv nach altem Schweiß und Unmengen von Zigaretten. Die massiven Ausdünstungen eines Kettenrauchers, der in seinen Kleidern schläft. Nach endlosen Sekunden setzte er seinen Weg fort und bewegte sich im Schneckentempo von der Seite her auf mich zu. Ich wartete, bis er genau auf meiner Höhe war, fuhr hoch und ließ den Kolben der Flinte auf die Stelle hinabsausen, wo ich seinen Hinterkopf vermutete. Ich hatte mich auf ein abscheuliches Geräusch vorbereitet, auf ein Knacken des Schädelknochens, einen Schmerzensschrei, aber es gab nur ein trockenes »Plopp«, und der Schatten blieb einfach liegen. Ich wartete einen Augenblick, kroch dann näher heran, schirmte mein Feuerzeug mit den Händen ab und ließ es vor seinem Gesicht aufflammen. Es war der Mann, der auf dem Hamburger Bahnhofsklo seinem verletzten Partner in den Kopf geschossen hatte. Seine Augen waren geschlossen, und sein grobknochiges, aber gut geschnittenes Gesicht hatte einen beinahe entspannten Ausdruck. Er schien gleichmäßig zu atmen, und meine Finger an seiner Halsschlagader ertasteten einen deutlich wahrnehmbaren Puls. Ich ließ ihn liegen und bewegte mich kriechend ein paar Meter weiter auf den Audi zu. Mir war klar, dass mir die Zeit davonlief, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wenn ich auf das Heck des Audi zulief und versuchte die Kofferraumklappe zu öffnen, gab ich trotz der schlechteren Sichtverhältnisse hinter dem Auto wahrscheinlich ein exzellentes Ziel ab. Besonders in dem Augenblick, in dem ich versuchen würde, Anna herauszuheben, oder aber feststellen musste, dass ich die Kofferraumklappe gar nicht aufbekam. Minuten vergingen.
    Ich hörte das Geräusch leiser Schritte. Einer der Männer näherte sich vom Haus aus dem Audi und streifte für einen kurzen Augenblick das Scheinwerferlicht. Meine Intuition war richtig gewesen. Warum sollten sie mich suchen? Schließlich hatten sie eine Geisel, mit der man mich herbeizitieren konnte. Auch den Mann, der jetzt herankam, kannte ich.
    Er war mittelgroß und sehr schlank, und er hatte schulterlanges, dunkelblondes Haar. Sein schmales Gesicht hatte einen höhnischen und frettchenhaften Ausdruck, und ich hatte es schon einmal gesehen, als er seinen Kopf nach hinten rotieren ließ, ohne den Rumpf zu bewegen. Ich hatte von ihm geträumt. Und ich konnte es gar nicht erwarten, den Trick mit dem Halsumdrehen Wirklichkeit werden zu lassen.
    Er hatte jetzt den Kofferraum des Audi erreicht und ließ den Strahl seiner Taschenlampe eher ziellos über den Feldweg und die Büsche streifen. Ich duckte mich noch tiefer in das kniehohe Gras. Kein Problem. Ich war zu weit entfernt, um von dem Strahl erfasst zu werden.
    Aber ich würde

Weitere Kostenlose Bücher