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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Baby!«
    Anna ging quer durch das Zimmer, holte das Telefon vom Ankleidetisch und stellte den Apparat zu mir auf die Bettdecke.
    »Fünf Minuten, Schweinebacke!«
    Dann fing sie an zu kichern, ging ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Durch das Rauschen des Badewassers hörte ich, wie sich das Kichern in ein heiseres Schluchzen verwandelte. Nach einer Weile war sie still.
    Ich tippte die Hamburger Nummer ein und ließ mich verbinden. Nach wenigen Sekunden war er am Apparat.
    »Ja!?«
    Erstaunlich, wie er es schaffte, diesen winzigen Hauch Belustigung und Hochmut, der seine Stimme so unverwechselbar machte, in einem einzigen Wort unterzubringen. Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen.
    »Warum hast du das gemacht?«, fragte ich schließlich.
    »Thomas, um Gottes willen, wo steckst du, ich habe …« Ich konnte hören, wie er die Fassung verlor und mit den Tränen zu kämpfen schien. Dann hatte er sich wieder im Griff.
    »Ist das eine sichere Leitung?« Seine Stimme war jetzt völlig verändert. Die Süffisanz war verschwunden und hatte einer kühlen und vorsichtigen Distanziertheit Platz gemacht.
    »Gibt es sichere Leitungen?«
    »Ein paar schon. Von wo rufst du an?«
    »Aus einem Hotel in Belgien. Wie sicher ist denn dein Telefon?«
    »Ziemlich sicher. Also, was zum Teufel hast du angestellt? Ich war krank vor Sorge.«
    »Du hast mich verraten!«
    Mischka schwieg.
    »Nein«, sagte er dann, »ich habe euer Leben gekauft.«
    Ich nahm den Hörer vom Ohr, legte ihn auf die Bettdecke und starrte ihn an. Der Schmerz in meinem Hinterkopf hatte wieder zugenommen. Aus dem Badezimmer hörte ich durch das Rauschen des Wassers Anna vor sich hin fluchen. Ich wollte nicht wissen, was Mischka zu sagen hatte. Dann griff ich trotzdem nach dem Telefon und hörte ihn am anderen Ende der Leitung schnell und unregelmäßig atmen.
    »Wer hat es dir denn zum Kauf angeboten?«, fragte ich.
    »Geldorf!«
    Es war komisch. Ich hatte Geldorf nie richtig vertraut und war trotzdem wie vor den Kopf geschlagen. Vielleicht, weil ich ihn irgendwie gemocht hatte mit seiner dröhnenden Jovialität und seinen bescheuerten Zigarillos. Seine Darbietung des ausgebrannten und alleinerziehenden Großstadtbullen mit Herz hatte ich jedenfalls geschluckt wie ein Karpfen die Brotkrümel. Wenn sie Geldorf kaufen konnten, konnten sie jeden kaufen.
    »Wie genau ist es abgelaufen?«
    »Es war gestern Abend kurz vor elf«, sagte Mischka. »Er hat mich aus einer Fraktionssitzung rausholen lassen. Ganz offiziell und ohne Geheimnistuerei. Wir sind in einen der Konferenzräume gegangen, und er ist gleich zur Sache gekommen. ›Sie kennen Thomas Nyström?‹ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Also habe ich genickt. ›Er war Ihr Schulfreund, und Sie haben ihn hier in Hamburg wiedergefunden. Ich war dabei, als er Sie am Tag der Beerdigung auf einem Plakat entdeckt hat.‹
    Ich habe wieder nur genickt. Und dann hat er einfach die Katze aus dem Sack gelassen: ›Ihr Freund hat sich in eine ausweglose Lage manövriert‹, hat er gesagt, ›ich weiß, dass er Ihnen etwas geschickt hat, wahrscheinlich eine Diskette oder CD. Geben Sie sie mir, und ich sorge dafür, dass er am Leben bleibt. Er und die Punkerin.‹ Dann hat er sein Handy herausgeholt und mir ein Foto von euch gezeigt. Trotz der Dunkelheit wart ihr im Scheinwerferlicht gut zu erkennen. Geldorf hat mir versichert, dass du nicht tot bist, aber es sah verdammt so aus.«
    »Hattest du die CD bei dir?«
    »In meinem Schreibtisch. Gut getarnt in einem Rolling-Stones-Cover.«
    »Hast du sie kopiert?«
    »Nein, aber das wäre auch nutzlos gewesen. Geldorf hat es gleich angesprochen: ›Der Deal gilt für diese CD, wenn irgendwelche Kopien auftauchen, gibt es keinen Ort auf der Welt, an dem Ihr Freund sich verstecken kann.‹ Ich habe ihm geglaubt.«
    »Danke.«
    Mischka räusperte sich unbehaglich.
    »Und dann hast du die CD geholt und ihm gegeben?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte Mischka, »aber das ist noch nicht alles.«
    Ich hielt die Luft an, und Mischka ließ sich Zeit.
    »Bist du in deinem Institut in München mal auf Band aufgenommen worden?«, fragte er dann.
    »Nein, was hat das jetzt damit zu …?«
    »Denk nach, verdammt!«
    »Ich habe vor zwei Jahren eine Vorlesungsreihe gehalten. Einführung in die klinische Neuropsychologie. Ein paar Studenten haben die Vorlesungen aufgezeichnet, und weil die Tonqualität erstaunlich gut war, sind die Bänder schließlich in der Präsenzbibliothek

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