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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Hals.«
    »Warst du das?«
    »Nein.«
    Anna schwieg eine Weile. »Es war entsetzlich in dem Kofferraum«, sagte sie schließlich, »schon die Fahrt hierher war schlimm. Sie haben mir nicht gesagt, wohin wir fahren, aber ich habe mir natürlich gedacht, dass es irgendwie um einen Austausch geht. Als ich dann das Geschrei und die Schüsse hörte, bin ich vor Angst fast gestorben. Ich hatte Angst um dich, Angst, dass der Wagen von Schüssen durchsiebt werden könnte, und Angst, nie wieder aus dem Kofferraum hinauszukommen, wenn alle tot sein würden. Dann ging die Klappe auf, und das langhaarige Arschloch hob mich heraus und ließ mich einfach fallen. Vom Boden aus sah ich dann dich mit dem Gewehr an seinem Hals, und da habe ich endgültig gedacht, ich schnapp über. Wir hatten sie. Es war ein wahnsinniges Gefühl – für etwa zehn Sekunden. Dann sah ich den Mann hinter dir. Er hielt etwas in der Hand, das ich nicht erkennen konnte, aber es muss schwer gewesen sein, denn als er dir damit auf den Kopf schlug, bist du sofort zu Boden gegangen. In diesem Augenblick habe ich gewusst, dass ich sterben muss.«
    Annas Stimme hatte angefangen zu zittern. Wir bewegten uns beide am Rande des totalen Zusammenbruchs, aber es war noch nicht vorbei. Ihre Schilderung der Ereignisse hatte meine Erinnerung zurückgebracht, was mich einerseits etwas beruhigte, weil meine Kopfverletzung möglicherweise nicht ganz so schlimm war, wenn ich keine posttraumatische retrograde Amnesie hatte. So nennen meine Kollegen in München den gnädigen Filmriss, der nicht nur die Erinnerung an den großen Crash, sondern auch an die Stunden davor gleich mit ausradiert. Andererseits hatte ich jetzt wieder in unauslöschlicher Deutlichkeit das Bild des Mannes vor Augen, der von einer doppelten Schrotladung durch die Tür geschleudert wurde. Ich spürte kein Bedauern, aber ich wusste auch, dass ich nicht nach München zurückkehren konnte. Wenn man Villani und den Mann auf dem Bahnhofsklo mitzählte, hatte ich drei von ihnen auf dem Gewissen. Warum war ich noch am Leben? Ich öffnete das Handschuhfach und holte den Glenfìddich heraus, den ich an der Raststätte gekauft hatte.
    »Du solltest jetzt keinen Alkohol trinken«, sagte Anna.
    »Nein. Sollte ich nicht.«
    Ich machte die Flasche auf und nahm einen winzigen Schluck, der in meinem Kopf augenblicklich ein wunderbares Achterbahngefühl erzeugte. Gegen die Kälte half er nicht.
    »Also«, sagte ich, »warum haben sie uns nicht getötet?«
    Anna nahm mir den Whisky aus der Hand, trank und fing prompt an zu husten. Die vom Gebläse des Wagens aufgemischte trockene Heizungsluft ließ aus unseren nassen Sachen einen feucht-muffigen Dunst aufsteigen.
    »Sie hatten es vor«, sagte Anna, »da bin ich ganz sicher. Als sie gesehen haben, dass du völlig weggetreten warst, haben sie dich einfach neben dem Audi liegen lassen und mir befohlen, bei dir sitzen zu bleiben. Dann sind beide zum Haus gegangen, und was sie dort vorgefunden haben, hat sie sehr wütend gemacht. Den Mann vor der Tür hatten sie ja schon gesehen, aber im Haus – das muss schlimm gewesen sein. Du hast ja gesagt, du hast ihn nicht getötet, aber sie haben es auf dein Konto gebucht.«
    »Killed by friendly fire, wie die Amis so schön sagen. Der Typ auf dem Bahnhofsklo und der Anwalt in der Hütte. Nur dass ich sie jeweils in die richtige Situation gebracht habe, ihre Freunde wirklich kennenzulernen.«
    »Als sie zurückkamen, waren sie offensichtlich enttäuscht, dass du noch ohnmächtig warst. Ich glaube, sie hatten sich vorgestellt, was sie mit mir anstellen wollten, und sie hätten gerne gehabt, dass du dabei zusiehst. Ich war verrückt vor Angst.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Das ist es ja. Ich weiß es nicht. Ein Handy hat geklingelt. Ganz komischer Klingelton. Der Blonde mit den langen Haaren hat telefoniert, und dann haben sie angefangen aufzuräumen.«
    »Verdammt, ich höre, was du sagst, aber ich verstehe kein Wort!«
    »Was ist daran nicht zu verstehen?«, sagte Anna tonlos. »Jemand hat die Sache abgeblasen. Und sie haben brav gehorcht und die Leichen weggeräumt. Sie haben sie in den Kofferraum von dem Lexus gepackt. Wahrscheinlich werden sie das Auto gleich mitentsorgen. Dann haben sie vor dem Haus und, ich glaube, auch drinnen den Boden gesäubert. Der Blonde hat eine Weile gebraucht, um seine Pistole zu finden, die du in die Büsche geworfen hast. Das Ganze hat etwa eine Stunde gedauert. Dann hat jeder von ihnen einen Wagen

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