Oelspur
auf der Beifahrerseite, und sie reichte mir herein, was von Gunnars Flinte übrig geblieben war.
»Drinnen alles tipptopp«, sagte sie, »keine Leichen, gar nichts! Ein paar braune Flecken hier und da. Die Bullen würden natürlich sofort feststellen, dass es Blut ist, aber ich glaube nicht, dass jemand hier rauskommt und den Fußboden untersucht.«
»Okay, steig ein. Wir hauen ab!«
»Moment noch, das waren die guten Nachrichten. Jetzt kommen die interessanten. Sie haben uns ein bisschen Reisegeld dagelassen!«
Halb hinter ihrem Rücken verborgen, hatte sie Villanis Aktenkoffer gehalten, den sie jetzt in meinen Schoß legte. Sie ging um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. Ich rührte mich nicht.
»Schau mal rein«, sagte sie, »es ist eine Menge Geld.«
»Ja, ich weiß. 2,2 Millionen Euro. Gebrauchte Scheine. Nicht zurückzuverfolgen. Das war Villanis Angebot. Der Koffer und dein Leben gegen Helens Material. Ich verstehe überhaupt nichts mehr!«
»Das sind sehr gefährliche Leute, nicht wahr?«
»Ja.«
»Die gewohnt sind zu bekommen, was sie wollen.«
»Ja.«
»Und du hast drei von ihnen auf dem Gewissen, was sie sehr wütend gemacht hat.«
»Ja.«
»Und sie hatten uns hier in der Falle. Ich gut verschnürt und du halb tot. Sie hätten in fünf Minuten aus uns herausfoltern können, wo das Material ist. Richtig?«
»In zwei Minuten!«
»Okay, und sie brechen die ganze Sache einfach so ab, räumen auf und lassen als kleinen Gag den Geldkoffer hier. Also, wie du richtig gesagt hast: Warum sind wir nicht tot?«
»Weil sie bereits haben, was sie wollen?«
»Ja«, sagte Anna, »so einfach ist das!«
Nur für mich nicht. Ich begriff nichts mehr. Ich saß nur da, benommen von Schmerz und Enttäuschung – und der Verstand im freien Fall. Es gab nichts, was ich Annas Schlussfolgerungen hätte entgegensetzen können. Nichts, was wir noch tun konnten. Aus, vorbei und erledigt.
»Ich brauche ein Telefon.«
»Negativ«, sagte Anna, »sie haben beide Handys mitgenommen, und was du jetzt brauchst, sind ein Arzt und ein Bett!«
Dann legte sie den Gang ein und fuhr einfach los.
Fünfunddreißig
W
ir brauchten ewig lange bis nach Antwerpen. Anna fuhr sehr vorsichtig und behutsam, trotzdem wütete der Schmerz in meinem Hinterkopf bei jeder Unebenheit der Straße mit konstanter Bösartigkeit. Unsere Kleidung war nach wie vor klamm, und da Anna die Heizung zwischendurch abschalten musste, um das Beschlagen der Scheiben im Griff zu behalten, hatten wir schon nach kurzer Zeit wieder zu frieren begonnen. Irgendwo auf freier Strecke hielt sie an und warf die Überreste von Gunnars Flinte in einen Kanal. Ich bekam es kaum mit.
In der Innenstadt hielt sie vor einem teuren Sportgeschäft, schnappte sich aus Villanis Koffer ein Bündel Hunderter und kam nach zwanzig Minuten mit drei großen Einkaufstaschen wieder heraus. Auf einem halbwegs leeren Parkplatz zogen wir uns im Auto um. Es war eine akrobatische Nummer der Sonderklasse. Anna hatte nach Augenmaß eine stattliche Kollektion bequemer Freizeitkleidung und Sportschuhe sämtlicher europäischer Nobelmarken eingekauft, und als ich mit ihrer Hilfe nach gefühlten drei Stunden endlich in trockenen Sachen dasaß, war ich in Schweiß gebadet.
»Was nicht passt, kann ich umtauschen«, sagte Anna, als ob das irgendeine Rolle gespielt hätte. »Die waren vielleicht freundlich, als ich die Scheine einfach so aus der Hose gefischt hab, da könnte ich mich dran gewöhnen. Sogar ein Hotel haben sie mir empfohlen.«
Sie hatte offenbar nicht die geringste Mühe, sich in der Stadt zurechtzufinden, denn ich war kaum eingenickt, als wir in einer ruhigen Seitenstraße vor einem kleinen Hotel hielten, das eher einer gediegenen Familienpension glich. Anna kümmerte sich um die Formalitäten. Villanis Aktenkoffer und die teuer aussehenden Einkaufstaschen schienen dem Mann an der Rezeption als Gepäck völlig auszureichen, und wir bekamen problemlos ein komfortables Doppelzimmer.
»Ich muss telefonieren«, sagte ich.
»Du legst dich jetzt da in das Bett, oder ich fahre dich in die nächste Klinik und kipp dich vor die Tür der Notaufnahme!«
»Ich gehe ja ins Bett, aber ich muss telefonieren!«
»Haaaallo!«, sagte Anna. »Du kannst die Bruce-Willis-Nummer jetzt abblasen, die Show ist vorbei!«
Ich legte mich vorsichtig auf das Bett, streckte die Hand aus und versuchte mich an einer Imitation des schmutzigen Grinsens aus Stirb langsam.
»Das Telefon,
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