Oelspur
mir?«
»Ich habe dir gesagt, was ich will. Und genau dafür werde ich das Geld verwenden.«
»Das ist völliger Irrsinn! An wem, verdammt, willst du dich rächen? Du weißt doch nicht einmal, wie der Typ aussieht.«
»Ich kenne jemanden, der es weiß.«
Anna riss verwundert die Augen auf und dachte angestrengt nach. Dann fing sie an zu grinsen.
»Ja«, sagte sie, »das könnte funktionieren. Aber wie hast du dir die Gegenüberstellung vorgestellt? Glaubst du ernsthaft, dass der hierherkommt und mit dem Finger auf jemanden zeigt?«
»Ich habe da ein paar Ideen. Sehr teure Ideen, zugegeben, aber das macht nichts. Weißt du, Mischka hat gesagt, er habe für uns ausgehandelt, dass wir das Geld behalten dürfen, aber das ist nur ein Aspekt der Sache. Ich glaube, sie haben zugestimmt, weil sie hoffen, dass wir damit untertauchen. Wenn wir sozusagen unser altes Leben aufgeben und mit ihrem Geld von der Bildfläche verschwinden, macht uns das zu so einer Art von Komplizen. Vor allem, wenn Geldorf es schafft, mich in Deutschland auf eine Fahndungsliste zu setzen.«
»Du meinst, wenn wir abtauchen, können wir nie wieder das Maul aufreißen.«
»So ungefähr. Aus ihrer Sicht sind 2,2 Millionen Euro kein hoher Preis, um uns mundtot zu machen, ohne uns umzubringen, was auch nur wieder weitere Nachforschungen heraufbeschwören würde. Erinnere dich daran, was Morisaitte auf der Fähre zu mir gesagt hat: Wir haben kein Interesse daran, Sie zu töten – aber auch kein Problem damit. Sie betrachten es rein geschäftlich und gehen davon aus, dass wir halb verrückt vor Angst mit dem Geld nach Südamerika abhauen und sie auf der ganzen Linie gewonnen haben.«
»Haben Sie das nicht auch?«
»Doch! Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Erstens: Vielleicht haben wir nicht ganz so viel Angst, wie sie denken. Zweitens: Sie wissen nicht, dass Villani mir Morisaittes Namen genannt hat. Und drittens: Ich nehme es nicht geschäftlich, sondern persönlich.«
Anna schüttelte resigniert den Kopf.
»Hör auf Thomas, bitte. Das ist völlig irre. Ich bin so froh, dass wir noch leben. Du kannst dich nicht mit dieser Firma anlegen!«
»Scheiß auf die Firma«, sagte ich, »ich will Morisaitte!«
Anna schwieg – ein bisschen lange für meinen Geschmack. Sie betrachtete sehnsüchtig ihre abgebissenen Fingernägel und fing dann an, auf ihrer Unterlippe herumzukauen.
Lass ihr Zeit, sie hat Angst, sagte Helens Stimme in meinem Kopf.
Hallo, meine Schöne, dachte ich, wo warst du, als ich dich brauchte? Weißt du noch, wie sie mir auf dem Schiff zugesetzt hat?
Der Klang ihrer melancholischen Stimme flutete meinen Körper mit Wärme und hinterließ ein wunderbares Kribbeln im Nacken.
Du weißt schon, dass du völlig verrückt bist, oder?
Nein, dachte ich, was ich vorhabe, wird meiner geistigen Gesundheit sehr förderlich sein.
Ich bin tot, Thomas, und nichts, was du tust, wird daran etwas ändern.
Ihre Stimme hatte jetzt den Seien-wir-doch-mal-vernünftig-Ton meiner Mutter angenommen. Unterlegt mit einem Hauch Verzweiflung. Hilf mir, oder halt dich raus, dachte ich und lauschte auf eine Antwort.
Aber da war nichts.
»Hörst du, was ich sage?«, fragte Anna jetzt so laut, dass die Leute an den Nachbartischen zu uns herübersahen. »Ich bin dabei!«
Sie winkte der Kellnerin und bestellte zwei kleine Kriek. Das Café hatte sich mit Studenten gefüllt, die Sporttaschen dabeihatten und offenbar von irgendeinem Training kamen. Alle waren verschwitzt, gut gelaunt und sehr laut. Als unsere Drinks kamen, muss ich wohl extrem misstrauisch geguckt haben, denn Anna fing plötzlich an zu lachen.
»Du solltest mal dein Gesicht sehen. Aber da musst du jetzt durch. Wenn schon Belgien, dann richtig.«
In den zwei 0,3-Liter-Gläsern vor uns befand sich eine rötliche, leicht sprudelnde Flüssigkeit, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Billigbrause aus einem ehemaligen Ostblockland hatte.
»Das hier ist ein Lambic-Bier mit Kirschgeschmack«, sagte Anna. »Lambic ist ein Bier aus Gerste, Weizen und Hopfen, das mithilfe von Mikroorganismen durch Spontangärung gewonnen wird. Gibt’s auch mit Erdbeer-, Bananen- und Mirabellengeschmack. Lambic schäumt nicht und wird außerhalb von Belgien nicht verkauft, was mich persönlich nicht wundert. Wohlsein!«
Sie stürzte das Gebräu in einem Zug hinunter und grinste fröhlich.
»Nun guck nicht so! Das hat mir ein Typ am Hafen erzählt. Ich bin eben offen für Land und Leute! Und jetzt sagst du mir, was ich
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