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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Helmvisier eines Druckanzugs. Sie sah keine Gesichter,
nur das verzerrte Spiegelbild der langsam vorbei kriechenden
Landschaft und sich selbst als kleinen Teil davon.
    Alle Visiere waren auf Haldora gerichtet. Rachmika sah jetzt, dass
die Neigung der Plattform genau richtig war, um den Aufgang des
Planeten zu beobachten. Je näher die Karawane dem Ewigen Weg und dem Zug der Kathedralen käme, desto mehr würde die
Plattform in die Horizontale abgesenkt. Irgendwann lägen die
sechsunddreißig Beobachter flach auf dem Rücken, und der
Planet stünde im Zenith.
    Es mussten Pilger sein, dachte Rachmika. Die Karawane hatte sie
aufgenommen, als sie von der geraden Linie zu den Siedlungen am
Äquator abwich. Wie dumm von ihr, nicht daran zu denken, dass
auch Pilger mitfahren würden. Durchaus möglich, dass einige
davon aus dem Ödland kamen, vielleicht sogar aus ihrem Dorf.
    Ob die Gestalten auf der Plattform überhaupt mitbekommen
hatten, dass sie da war? Hoffentlich waren sie so auf Haldora
fixiert, dass sie ihr keinerlei Beachtung schenkten. Deshalb hingen
sie schließlich wie Gekreuzigte da oben an diesem
Eisengerüst – um ins Antlitz einer Welt zu starren, der sie
Wunderkräfte zuschrieben.
    Was Rachmika am meisten beunruhigte, war die Geschwindigkeit, mit
der die Pilger zu dieser extremen Form ihres Glaubens gefunden
hatten. Wahrscheinlich hatten sie ihre Heimat erst vor wenigen Wochen
verlassen. Bis dahin hatten sie notgedrungen wie ganz
gewöhnliche Mitglieder in einer weltlichen Gemeinschaft gelebt.
Im Ödland konnte jeder glauben, woran er wollte, aber er musste
mit seiner Hände Arbeit zum Erhalt der Gemeinde beitragen und
konnte sich seiner Religion nicht so ausschließlich widmen wie
hier. Sie hatten sich in Familien und Arbeitsgruppen einfügen
und über die Scherze ihrer Kollegen lächeln müssen.
Hier waren sie nun endlich frei. Vermutlich hatten sie bereits
quaichistisches Blut in den Adern.
    Rachmika folgte mit den Augen den vielen Windungen der Karawane.
Die Plattformen gab es auch auf anderen Dächern. Wenn man davon
ausging, dass die Zahl von angeschnallten Beobachtern überall
gleich war, so käme man allein in dieser Karawane leicht auf
zweihundert Pilger. Und auf Hela waren so viele Karawanen unterwegs.
Demnach wurden tausende von Pilgern zum Ewigen Weg befördert, und weitere tausende reisten zu Fuß,
mühsam einen Schritt vor den anderen setzend, zum gleichen
Ziel.
    Sie war empört über diese sinnlose Verschwendung
begrenzter Lebenszeit. Ein heiliger Zorn erfasste sie. Am liebsten
wäre sie auf die Plattform geklettert, um wenigstens einen der
Pilger wegzureißen von dem Anblick, der sie alle so fesselte.
Sie wollte ihm die Kapuze herunterziehen und ihr eigenes Gesicht vor
das spiegelnde Helmvisier halten, um zu dem Menschen dahinter –
diesem erlöschenden Fünkchen menschlicher
Individualität – Kontakt aufzunehmen. Sie wollte mit einem
Stein auf das Visier einhämmern, bis dieser aberwitzige Glaube
in einem Moment der explosiven Dekompression in Stücke gerissen
würde.
    Zugleich spürte sie, wie verfehlt ihre Wut war. Sie hasste
und verabscheute diese Pilger nur deshalb, weil sie befürchtete,
dass ihrem Bruder Harbin das gleiche Schicksal widerfahren sein
könnte. Sie konnte die Kirchen nicht zerschlagen, deshalb wollte
sie sich an den sanftmütigen unschuldigen Menschen abreagieren,
die sich zu ihnen hingezogen fühlten. Mit dieser Erkenntnis
brach eine neue Welle des Abscheus über sie herein, doch jetzt
verabscheute sie sich selbst mit nie gekannter Inbrunst. Der Hass
zuckte in ihrem Innern wie eine Kompassnadel auf der Suche nach einer
Richtung, in der sie zur Ruhe kommen konnte. Die Leidenschaft ihrer
Gefühle erschreckte und faszinierte sie. Das hätte sie sich
niemals zugetraut.
    Rachmika zwang sich zur Ruhe. Seit sie hier stand, hatten sich die
Gestalten auf der Plattform kein einziges Mal geregt. Die
dunkelbraunen Kutten über den Druckanzügen schienen in
Ehrfurcht erstarrt, die Falten im Stoff waren wie aus Granit
gemeißelt. In den Helmvisieren spiegelte sich weiterhin die
vorüberziehende Landschaft. Vielleicht war es besser, dass sie
die Individuen hinter dem Glas nicht sehen konnte.
    Sie wandte sich ab und kehrte langsam zur Brücke
zurück.

 
Sechzehn
Ararat

2675
     
     
    Das Shuttle hielt an und schwebte einige Meter über dem
Wasser. Das Rettungsteam sammelte sich in der Heckbucht und wartete,
während das erste Boot vorsichtig zu Wasser gelassen wurde, aber
noch

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