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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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behandschuhten
Händen hin und her. »Die Probleme der Gegenwart. Ich bin
natürlich über die Entwicklungen im Bilde, besser
vielleicht, als du ahnst. Zum Beispiel weiß ich, dass sich
andere Gruppen im System aufhalten.«
    »Sie spüren das?«
    »Der Lärm, den sie veranstalten, hat mich aus meinen
langen, ruhigen Träumen vom Mars geweckt.« Er betrachtete
die Bilder und Plaketten auf dem Helm und strich mit der stumpfen
Spitze eines Handschuhfingers zärtlich darüber. Welche
Erinnerungen von vor fünf- oder sechshundert Jahren sie wohl
aufsteigen ließen?, dachte Antoinette. Erinnerungen, die unter
dem grauen Staub der Jahrhunderte begraben lagen.
    »Wir hatten schon vermutet, dass etwas Sie geweckt
hatte«, sagte sie. »Sie haben sich in den letzten Wochen
häufiger bemerkbar gemacht. Wir hielten das nicht für
Zufall, schon gar nicht mehr, nachdem uns Khouri einiges erzählt
hatte. Ich weiß, dass Sie sich an Khouri erinnern, John, sonst
hätten Sie mich nicht hier heruntergeholt.«
    »Wo ist sie?«
    »Bei Clavain und den anderen.«
    »Und Ilia? Wo ist Ilia?«
    Antoinette brach der Schweiß aus. Die Versuchung zu
lügen, ihn mit einer Banalität abzufertigen, war
überwältigend groß. Aber sie war fest überzeugt,
dass der Captain jeden Täuschungsversuch durchschauen
würde. »Ilia ist tot.«
    Die schwarzweiße Haube senkte sich. »Ich dachte, ich
hätte es vielleicht geträumt«, sagte er. »Es
fällt mir immer schwerer, auseinander zu halten, was wirklich
geschieht und was nur in meiner Vorstellung existiert. Vielleicht
bist auch du nur ein Traum.«
    »Ich bin wirklich«, versicherte sie ihm, auch wenn das
seine Zweifel sicher nicht zerstreuen würde, »aber Ilia ist
tot. Wissen Sie noch, was mit ihr geschehen ist?«
    Seine Stimme klang leise und nachdenklich, als riefe sich ein Kind
die wichtigsten Stellen in einem Märchen ins Gedächtnis.
»Sie war hier, und wir waren allein. Und dann lag sie in einem
Bett, und viele Menschen standen um sie herum.«
    Was sollte sie darauf sagen? Dass Ilia vor allem deshalb in einem
Bett gelegen hatte, weil sie schwer verletzt worden war, als sie
versuchte, den Selbstmord des Captains zu vereiteln, der eines der
Weltraumgeschütze gegen den Schiffsrumpf gerichtet hatte? Die
Narbe am Rumpf war immer noch zu sehen, ein senkrechter Spalt an
einer Seite des Meeresturms. Antoinette war sicher, dass der Captain
das alles auf irgendeiner Ebene seines Bewusstseins genau
realisierte, hielt es aber nicht für nötig, ihn gerade
jetzt daran zu erinnern.
    »Sie starb«, sagte sie deshalb, »bei dem Versuch,
uns alle zu retten. Ich überließ ihr mein Schiff, die Sturmvogel, nachdem wir damit die letzten Kolonisten von
Resurgam geborgen hatten.«
    »Aber ich weiß doch, dass sie krank war.«
    »Sie war nicht so krank, dass sie kein Schiff hätte
steuern können. Es war nämlich so, John, dass sie glaubte,
Buße tun zu müssen. Sie wissen doch noch, was sie tat, als
Ihre Besatzung auf Resurgam nach Sylveste suchte? Sie gaukelte den
Kolonisten vor, sie hätte in einem Anfall von Jähzorn eine
ganze Siedlung ausgelöscht. Deshalb wollte man sie als
Kriegsverbrecherin anklagen. Vielleicht glaubte sie gegen Ende sogar
selbst daran. Woher sollen wir wissen, was ihr durch den Kopf ging?
Wenn einen genügend Menschen hassen, glaubt man früher oder
später wahrscheinlich, sie könnten Recht haben.«
    »Sie war kein besonders guter Mensch«, sagte der
Captain, »aber sie war auch nicht so schlecht, wie man ihr
nachsagte. Sie war immer nur bemüht, das Richtige für das
Schiff zu tun.«
    »Und damit war sie für mich ein guter Mensch. Denn das
Schiff ist im Moment so ziemlich alles, was wir noch haben,
John.«
    »Glaubst du, es hat ihr geholfen?«, fragte er.
    »Was?«
    »Für ihre Schuld zu büßen, Antoinette.
Glaubst du, es hat am Ende irgendeinen Unterschied gemacht?«
    »Woher soll ich wissen, was in ihr vorging?«
    »Hat es euch irgendetwas gebracht?«
    »Wir sind immerhin hier. Wir konnten das System lebend
verlassen. Hätte Ilia nicht gehandelt, wir wären
wahrscheinlich alle im Umkreis von Resurgam über ein paar
Lichtjahre des Weltalls verteilt.«
    »Hoffentlich hast du Recht. Ich habe ihr nämlich
vergeben.«
    Antoinette wusste, was er meinte. Ilia war dafür
verantwortlich, dass die Schmelzseuche des Captains schließlich
auf das ganze Schiff übergegriffen hatte. Sie hatte es
zugelassen, weil es für sie die einzige Möglichkeit war,
die Unendlichkeit von einem Parasiten ganz

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