Offenbarung
canasische Ziffern
durch ihr Blickfeld. Sonst änderte sich zunächst nichts.
Die bizarre Maschinengestalt – die Manifestation Klasse drei
– stand immer noch in dem Schrott, aus dem sie sich gebildet
hatte. Der Arm, mit dem sie ihr die Brille zugeworfen hatte, schien
in der Bewegung erstarrt.
»Captain…«, begann sie.
Doch während sie noch sprach, verloren die Manifestation und
die umliegenden Teile an Schärfe und Kontrast und verschmolzen
mit dem Gerümpel im Hintergrund. Die Brille funktionierte nicht
perfekt. In einem Quadrat ihres Sichtfeldes sah sie das
Maschinenskelett noch wie vorher, doch überall sonst war es wie
in einer Nebelwand verschwunden.
Antoinette wurde es ein wenig mulmig. Die Gestalt hatte sie nicht
bedroht, aber sie legte Wert darauf, genau zu wissen, wo sie war. Sie
hob die Hand und wollte die Brille abnehmen, als sie eine surrende
Stimme hörte.
»Nicht. Lass sie auf. Du brauchst sie, sonst kannst du mich
nicht sehen.«
»Captain?«
»Ich werde dir nichts tun. Ich verspreche es. Sieh
her.«
Sie gehorchte. Etwas schälte sich aus dem Nebel. Eine
menschliche Gestalt wurde in ihr Blickfeld eingefügt. Sie sah
vollkommen wirklich aus. Antoinette trat unwillkürlich einen
Schritt zurück. Ihre Taschenlampe blieb irgendwo hängen und
fiel zu Boden.
»Hab keine Angst«, sagte die Stimme. »Das war es
doch, was du wolltest?«
»Ich weiß nicht mehr so recht«, hauchte sie.
Die Gestalt schien einem Geschichtsbuch entstiegen. Der Raumanzug,
den sie trug, war eine echte Antiquität, ein formloses, weites
Ding aus zerknittertem, rostrotem Stoff. Die Stiefel und die klobigen
Handschuhe bestanden aus dem gleichen Material. Wo der Stoff
zerrissen war, konnte man sehen, dass darunter viele verschiedene
Schichten lagen. In der Taille wurde der Anzug von einem
mattsilbernen Gürtel zusammengehalten, an dem zahlreiche
unbekannte Werkzeuge befestigt waren. Vor der Brust hing ein plumper
quadratischer Chestpack mit vielen dicken Plastikschaltern, die auch
mit Handschuhen bedient werden konnten. Der Rucksack auf dem
Rücken war so groß, dass er den Kopf überragte. Von
ihm führte ein dicker gerippter Schlauch aus leuchtend rotem
Plastik über die linke Schulter nach vorne. Das offene Ende lag
auf der Oberseite des Chestpack. Der silberne Halsring war eine
komplizierte Konstruktion aus verschiedenen Verschlüssen und
schwarzen Gummidichtungen. Darunter prangten zahlreiche unbekannte
Logos und Rangabzeichen.
Die Gestalt trug keinen Helm.
Das Gesicht des Captains schien für den Anzug viel zu klein.
Auf dem kahl geschorenen Kopf trug er eine wattierte
schwarzweiße Haube, die von Überwachungsdrähten
durchzogen war. Seine Hautfarbe konnte Antoinette hinter dem
trüben Schleier nicht erkennen. Die Haut war faltenlos und
spannte sich straff über die Wangen, auf denen ungepflegt die
Stoppeln eines Dreitagebartes sprießten. Die dünnen
Augenbrauen waren wie mit dem Rasiermesser gezogen und wölbten
sich spöttisch über den weit auseinander stehenden
Hundeaugen. Zwischen den Pupillen und dem unteren Augenlid war das
Weiße zu erkennen. Den Mund – schmal und gerade, genau
richtig für eine arrogante Grimasse – konnte man je nach
Laune als faszinierend oder als unseriös bezeichnen.
Der Captain sah nicht so aus, als würde er gern Konversation
treiben, doch das störte Antoinette normalerweise nicht.
»Ich wollte Ihnen den hier zurückbringen«, sagte
sie. Sie bückte sich und hob den Helm auf, den sie irgendwann
abgestellt hatte.
»Gib ihn mir.«
Sie wollte ihm das Ding zuwerfen.
»Nein!«, sagte er scharf. »Ich möchte, dass du
ihn mir in die Hand gibst. Komm näher und überreiche ihn
mir!«
Sie zögerte. »Ich weiß nicht, ob ich dazu bereit
bin.«
»So etwas nennt man einen Vertrauensbeweis. Entweder du tust,
was ich dir sage, oder das Gespräch ist hiermit zu Ende. Ich
habe dir bereits zugesichert, dass dir nichts geschehen wird. Glaubst
du mir nicht?«
Sie dachte an die Maschinenteile, die die Brille aus ihrem
Blickfeld gelöscht hatte. Wenn sie das Ding abnähme und die
Manifestation so sähe, wie sie wirklich war…
»Lass die Brille auf! Auch das ist Teil der
Abmachung.«
Sie trat einen Schritt näher. Was blieb ihr schon anderes
übrig?
»Gut. Und nun gib mir den Helm!«
Wieder ein Schritt. Noch einer. Der Captain wartete. Er streckte
ihr nicht die Hände entgegen, nur sein Blick ermunterte sie zum
Weitergehen.
»Ich verstehe, dass du Angst hast«, sagte er. »Aber
darum
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