Offenbarung
geht es ja. Wer keine Angst hat, braucht auch kein Vertrauen zu
beweisen.«
»Ich frage mich nur, was Sie davon haben.«
»Ich verlasse mich darauf, dass du mich nicht
enttäuschst. Und jetzt gib mir den Helm.« Sie streckte die
Arme aus, so weit sie konnte, und der Captain streckte seinerseits
die Arme aus und nahm ihn ihr ab. Die Brille war etwas zu langsam.
Als er sich bewegte, sah sie für einen Moment die Maschinenteile
vorbeiflackern. Dann schlossen sich seine Handschuhe um den Helm.
Metall knirschte auf Metall.
Der Captain trat einen Schritt zurück. »Sehr gut«,
lobte er. Er drehte den Helm hin und her und untersuchte ihn auf
eventuelle Schäden. Antoinette entdeckte auf einer Seite eine
runde Öffnung, in die der rote Schlauch gesteckt werden konnte.
»Danke, dass du ihn mir heruntergebracht hast. Das war sehr
freundlich von dir.«
»Sie hatten ihn bei Palfrey gelassen. Das war doch kein
Versehen?«
»Wohl kaum. Wie hast du dich ausgedrückt – eine
Visitenkarte? Das kommt der Sache ziemlich nahe.«
»Ich sah darin ein Zeichen, dass Sie bereit wären, mit
jemandem zu sprechen.«
»Und du wolltest unbedingt mit mir sprechen«,
sagte er.
»Richtig, aber das gilt für uns alle.« Sie
betrachtete die Manifestation mit einer Mischung aus Angst und einer
Erleichterung, die verführerisch und damit gefährlich war.
»Darf ich Sie etwas fragen?« Sie nahm sein Schweigen als
Zustimmung. »Wie soll ich Sie ansprechen? Ich finde
›Captain‹ nicht mehr so ganz passend, seit wir diesen
Vertrauensbeweis hinter uns haben.«
»Stimmt«, gab er zu, aber es klang nicht völlig
überzeugt. »Einigen wir uns vorerst auf John.«
»Und womit habe ich dieses Entgegenkommen verdient, John?
Doch sicher nicht nur mit der Rückgabe des Helms?«
»Wie gesagt, dir war sehr daran gelegen, mit mir zu
sprechen.«
Antoinette bückte sich und hob ihre Taschenlampe auf.
»Ich habe jahrelang vergeblich versucht, Sie zu erreichen. Was
hat sich verändert?«
»Ich fühle mich jetzt anders«, sagte er.
»Als hätten Sie geschlafen und wären endlich
aufgewacht?«
»Eher als müsste ich jetzt wach sein. Beantwortet
das deine Frage?«
»Ich weiß nicht. Es klingt vielleicht unhöflich,
aber… mit wem rede ich eigentlich?«
»Du redest mit mir. Wie ich bin. Wie ich einst war.«
»Niemand weiß genau, wer Sie waren, John. Dieser Anzug
kommt mir ziemlich alt vor.«
Die behandschuhte Hand glitt nach einem bestimmten Muster
über den Chestpack. Für Antoinette sah es aus wie eine
Segensgebärde, aber vielleicht war es auch nur eine mechanische
Kontrolle wichtiger Systeme. Luftvorrat, Druckintegrität,
Thermokontrolle, Kommunikation, Abfallentsorgung… Sie kannte
die Litanei selbst zur Genüge.
»Ich war auf dem Mars«, sagte er.
»Da war ich noch nie«, gab sie zurück.
»Nein?« Das klang enttäuscht.
»Tatsächlich kenne ich gar nicht so viele Welten. Ich
war auf Yellowstone, dann kurz auf Resurgam und jetzt hier auf diesem
Planeten. Auf dem Mars war ich nie. Wie war es denn dort?«
»Anders. Wilder. Kälter. Barbarisch. Unversöhnlich.
Grausam. Unberührt. Öde. Schön. Wie eine
temperamentvolle Geliebte.«
»Aber das ist schon eine Weile her?«
»Hmhm. Wie alt schätzt du diesen Anzug?«
»Für mich sieht er aus wie eine
Antiquität.«
»Solche Anzüge werden seit dem einundzwanzigsten
Jahrhundert nicht mehr hergestellt. Du hältst Clavain für
eine historische Figur. Ich war schon ein alter Mann, bevor er seinen
ersten Atemzug tat.«
Sie war überrascht, dass er Clavain mit Namen nannte. Der
Captain war über die Entwicklungen an Bord offenbar besser
informiert, als manch einer ihm zutraute. »Dann haben Sie ein
langes Leben hinter sich«, sagte sie.
»Eine lange und sehr seltsame Reise. Und wohin hat sie mich
geführt?«
»Sie könnten sicher eine Menge erzählen.«
Antoinette hielt zwei Themen für unverfänglich: die
Gegenwart und die ferne Vergangenheit. Auf jeden Fall wollte sie
vermeiden, dass sich der Mann mit seiner Krankheit und ihren bizarren
Transformationen beschäftigte.
»Manche Geschichten möchte ich lieber für mich
behalten«, sagte er. »Aber das geht wohl jedem von uns
so?«
»Kein Widerspruch.«
Der Schatten eines Lächelns umspielte seine schmalen Lippen.
»Finstere Geheimnisse auch in deiner Vergangenheit,
Antoinette?«
»Nichts, was mir schlaflose Nächte bereiten würde.
Schon gar nicht, solange wir so viele andere Sorgen haben.«
»Aha.« Er drehte den Helm in seinen
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