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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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ab, sich Ihr Blut einspritzen zu
lassen.«
    »Es ist nicht mein Blut. Es ist ein Virus.«
    Grelier brachte seinen Herrn und Meister mit erhobenem Zeigefinger
zum Schweigen. »Der springende Punkt ist, dass der
Personalvermittler gute Gründe hatte, ihn zu belügen.
Eigentlich war es nur eine harmlose Lüge. Jedermann wusste, dass
Verwaltungsposten dünn gesät waren. Ich glaube sogar, dass
auch der Sohn das wusste, aber seine Familie brauchte das
Geld.«
    »Die Geschichte hat doch hoffentlich eine Pointe,
Grelier?«
    »Ich kann mich an den Sohn kaum noch erinnern. Aber die
Tochter? Die sehe ich jetzt ganz deutlich vor mir. Sie schaute durch
uns alle hindurch, als wären wir aus Glas. Ihre Augen waren
ungewöhnlich, goldbraun mit kleinen Lichtsprenkeln
darin.«
    »Wie alt war sie denn, Grelier?«
    »Acht oder neun, würde ich sagen.«
    »Sie widern mich an.«
    »Es war nicht das, was Sie meinen«, verwahrte sich
Grelier. »Jeder von den Anwesenden spürte es, besonders der
Personalvermittler. Sie sagte ihren Eltern immer wieder, er
würde lügen. Sie war ganz sicher. Sie fühlte sich
geradezu beleidigt, als spielten alle in diesem Zimmer ein
Spiel, und nur ihr hätte man nichts davon gesagt.«
    »Kinder benehmen sich in Gesellschaft von Erwachsenen oft
seltsam. Es war ein Fehler, sie mitzunehmen.«
    »Eigentlich war ihr Verhalten gar nicht so abwegig«,
widersprach Grelier. »Ich fand es durchaus vernünftig.
Unvernünftig waren nur die Erwachsenen. Sie wussten alle, dass
der Personalvermittler log, aber sie war die Einzige, die sich das
auch eingestand.«
    »Vermutlich hatte sie vor dem Gespräch irgendeine
Bemerkung der Art belauscht, Personalvermittler würden immer
lügen.«
    »Das mag sein, aber ich vermutete schon damals, dass etwas
mehr dahintersteckte. Sie brauchte den Mann nur anzusehen, um zu
wissen, dass er log. Es gibt vereinzelt Menschen, die mit dieser
Fähigkeit geboren werden. Doch höchstens bei einem von
tausend, wahrscheinlich nicht einmal das, ist sie so stark
ausgeprägt wie bei diesem kleinen Mädchen.«
    »Gedankenlesen?«
    »Nein. Nur ein feines Gespür für subliminale
Informationen, die bereits vorliegen. Gesichtsausdrücke in
erster Linie. Die Muskeln in einem Gesicht können dreiundvierzig
verschiedene Bewegungen ausführen, das ermöglicht
zehntausende von Kombinationen.«
    Grelier hatte seine Hausaufgaben bereits gemacht, dachte Quaiche.
Der kleine Exkurs war offensichtlich schon länger geplant.
    »Viele dieser Bewegungen sind nicht dem Willen
unterworfen«, fuhr er fort. »Wer nicht sehr gut geschult
ist, kann einfach nicht lügen, ohne sich durch seinen
Gesichtsausdruck zu verraten. Meistens spielt das natürlich
keine Rolle. Andere Menschen merken nichts davon, weil sie für
diese Mikroveränderungen blind sind. Aber stellen Sie sich vor,
Sie hätten diese Gabe. Sie könnten nicht nur alle Menschen
um sich herum durchschauen, ohne dass die es ahnten, sondern
hätten sich auch selbst so weit unter Kontrolle, um alle Signale
zu unterdrücken, die Sie nicht senden wollen.«
    »Hm.« Quaiche sah allmählich, worauf Grelier
hinauswollte. »Bei jemandem wie Heckel würde es nicht viel
nützen, aber bei einem Standardmenschen… jemandem mit einem Gesicht… wäre es etwas anderes. Können Sie mir
das womöglich beibringen?«
    »Ich kann noch mehr«, sagte Grelier. »Ich kann
Ihnen das Mädchen holen. Dann kann sie den Unterricht
übernehmen.«
    Quaiche betrachtete Haldoras Spiegelbild über sich. Ein
zuckender Lichtfaden in der südlichen Polarregion hatte seine
Aufmerksamkeit erregt.
    »Dazu müssten Sie sie erst hierher locken«, sagte
er. »Das ist nicht einfach, wenn Sie nie eine Lüge
gebrauchen können.«
    »Nicht so schwierig, wie Sie denken. Mit ihr ist es wie mit
Antimaterie: Man muss nur wissen, mit welchen Instrumenten man sie
anfasst. Ich sagte doch vorhin, dass ich vor ein paar Tagen etwas
hörte, was die Erinnerung an diesen Vorfall weckte. Es war der
Name des Mädchens. Rachmika Els. Er wurde in einer
Nachrichtensendung aus dem Ödland von Vigrid erwähnt. Man
veröffentlichte auch ein Foto. Natürlich ist sie seither
acht oder neun Jahre älter geworden, aber sie war es
tatsächlich. Diese Augen vergisst man nicht. Sie wurde als
vermisst gemeldet. Die Gendarmerie war ihretwegen in heller
Aufregung.«
    »Das nützt uns gar nichts.«
    Grelier lächelte. »Aber ich habe sie gefunden. Sie
fährt mit einer Karawane zum Ewigen Weg.«
    »Sie sind ihr begegnet?«
    »Nicht direkt.

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