Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
jenseits des
Terminators über einem bestimmten Punkt auf der Tagseite des
Planeten hocken sehen. Und sie war nicht untätig.

 
Dreiundzwanzig
Hela

2727
     
     
    Quaiche war mit dem Ehernen Panzer allein in seinem Turmzimmer. Er
hörte nur seine eigenen Atemzüge und die fürsorglichen
Geräusche des Krankenstuhls, auf dem er ruhte. Die Jalousien
waren halb heruntergelassen, parallele Linien so rot wie Feuer
durchzogen den Raum.
    Ganz schwach – und nur, weil er gelernt hatte, so etwas
wahrzunehmen – spürte er die leichten Seitwärts- und
Längsschwankungen der Morwenna, die nicht ausgeschaltet
werden konnten. Sie ärgerten ihn nicht etwa, er empfand sie
vielmehr als beruhigend. Stünde die Kathedrale völlig
still, dann bedeutete das, dass sie hinter Haldora zurückfielen.
Aber die Kathedrale war seit mehr als hundert Jahren nicht mehr
stehen geblieben und damals nur für ein paar Stunden
während eines Reaktorausfalls. Seither hatte sie sich immer
weiter bewegt und war dabei immer weiter gewachsen. Ihre Höhe
hatte sich erst verdoppelt, dann vervierfacht. Währenddessen war
sie genau im richtigen Tempo den Weg entlanggekrochen, sodass Haldora
fest über ihr stand und für sein aufgespreiztes, stets
wachsames Auge über die Spiegel zu sehen war. Keine andere
Kathedrale auf dem Weg hatte einen solchen Rekord zu
verzeichnen: Die größte Rivalin der Morwenna, die Eisenfrau, hatte vor neunundfünfzig Jahren bei einer
Panne einen ganzen Umlauf versäumt. Die Schande – die
Kathedrale musste dreihundertzwanzig Tage lang auf demselben Fleck
warten, bis die anderen Kathedralen zurückkehrten – lastete
selbst sechs Jahrzehnte später noch schwer auf ihr. Jede andere
Kathedrale einschließlich der Morwenna hatte dem
Andenken an diese Demütigung ein eigenes Glasfenster
gewidmet.
    Der Stuhl fuhr ihn zum Westfenster und richtete ihn etwas auf,
damit er besser sehen konnte. Mit jeder Bewegung veränderten
ringsum auch die Spiegel ihre Stellung, um die Sichtverbindung
aufrechtzuerhalten. Wohin er den Stuhl auch steuerte, Haldora war das
alles beherrschende Objekt. Der Planet wurde mehrfach reflektiert,
sein Licht durch rechte Winkel geschickt, zurückgeworfen und
abermals gedreht, mit achromatischen Linsen vergrößert und
wieder verkleinert, aber es war immer noch das Licht und kein
Bild aus zweiter oder dritter Hand auf einem Schirm. Haldora war
immer da, aber sein Antlitz veränderte sich von Stunde zu
Stunde. Zum einen wechselten die Lichtverhältnisse im Laufe von
Helas vierzigstündigem Orbit: Die voll beleuchtete Scheibe wurde
zur Sichel und zur sturmumtosten Nachtseite. Und selbst wenn die
Phase die gleiche war, die Schatten und Bänder waren von einem
Umlauf zum nächsten nie ganz identisch. So wurde Quaiche
immerhin vor dem Gefühl bewahrt, das Bild sei ihm schon ins
Gehirn gebrannt.
    Natürlich sah er nicht nur Haldora allein. Um den Planeten
zog sich ein schwarzer bis silbrig grauer Ring, und daneben gab es
auch noch seine unmittelbare Umgebung – ein breites Band mit
verschwommenen Details. Wenn Quaiche die Augen zur Seite drehte,
glitt Haldora an den Rand seines Blickfeldes, denn die Spiegel
lenkten das Bild auf die ganzen Augen, nicht nur auf die Pupillen.
Aber das tat er nur selten, aus Angst, der Planet könnte genau
in dem Moment verschwinden, in dem er ihm nicht seine volle
Aufmerksamkeit widmete.
    Auch wenn Haldora genau vor ihm aufragte, hatte er gelernt,
möglichst viel aus den Augenwinkeln aufzufangen. Es war
überraschend, welche Lücken sein Gehirn füllen konnte,
wie es Einzelheiten andeutete, die seine Augen nicht wirklich
auflösen konnten. Mehr als einmal hatte Quaiche gedacht, wenn
die Menschen wirklich begriffen, wie synthetisch ihre Welt war –
wie viel davon sie nicht unmittelbar wahrnahmen, sondern durch
Interpolation aus Erinnerungen und Schätzungen zusammenflickten
–, würden sie still und leise den Verstand verlieren.
    Er schaute auf den Weg. Weit im Osten, in der Richtung, der
die Morwenna folgte, sah er deutlich etwas funkeln. Es war der
nördliche Rand des Gullveig-Gebirges, des größten
Bergmassivs auf Helas Südhalbkugel. Diese Kette war die letzte
große geologische Hürde, die sie vor der vergleichsweise
einfachen Etappe durch die Jarnsaxa-Ebene und der sich
anschließenden Rennbahn zur Teufelstreppe zu überwinden
hatten. Der Weg führte durch die Nordflanke der
Gullveig-Kette und durchquerte durch eine Reihe von tiefen Schluchten
einige Vorberge. Dort war ein

Weitere Kostenlose Bücher