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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Undenkbare
in Betracht zu ziehen.« Vasko stellte sein Glas ab. Es war erst
halb leer, aber der Durst war ihm ebenso vergangen wie der Appetit.
»Eine Frage«, sagte er. »Warum bist du auf einmal so
nett zu mir?«
    Urton musterte ihn wie ein Schmetterlingssammler ein
aufgespießtes Exemplar. »Weil ich vielleicht irgendwann
ganz froh wäre, dich auf meiner Seite zu wissen.«

 
Hela

2727
     
     
    Der Eherne Panzer sagte: »Wir haben die Nachricht
gehört, Quaiche.«
    Quaiche erschrak wie immer, wenn sich die Stimme zu Wort meldete.
Er war allein. Grelier hatte soeben seine Augen versorgt und einen
Abszess unter einem Augenlid gepinselt. Der metallene Lidspreizer
schmerzte heute noch mehr als sonst, so als hätte der
Generalmedikus, während Quaiche schlief, heimlich die
Häkchen angespitzt.
    Wobei Quaiche natürlich niemals wirklich schlief. Schlaf war
ein Luxus, von dem er nur noch eine sehr vage Vorstellung hatte.
    »Ich weiß von keinen Nachrichten«, sagte er.
    »Du hast vor der Versammlung unten eine kleine Ansprache
gehalten. Wir haben sie gehört. Du willst mit der Kathedrale
über die Absolutionsschlucht fahren.«
    »Und wenn schon, was geht das euch an?«
    »Es ist Wahnsinn, Quaiche. Und dein Geisteszustand geht uns
sehr wohl etwas an.«
    Er sah den Panzer verschwommen aus dem Augenwinkel. Haldoras Bild
stand gestochen scharf in der Mitte seines Blickfelds. Die Welt lag
halb im Schatten, die creme-, ocker- und türkisfarbenen Streifen
verschwanden im scharfen Terminator, der Tag und Nachtseite
trennte.
    »Euch geht es doch gar nicht um mich«, sagte er.
»Euch geht es nur darum, zu überleben. Ihr habt Angst, mit
vernichtet zu werden, wenn ich die Morwenna zerstöre.«
    »›Wenn‹?, Quaiche? Das finden wir tatsächlich
ein wenig beunruhigend. Wir hatten gehofft, du wolltest das Wagnis
auch zu Ende bringen.«
    »Vielleicht«, gab er zu.
    »Obwohl es bisher niemand geschafft hat?«
    »Die Morwenna ist nicht irgendeine
Kathedrale.«
    »Nein. Sie ist die größte und schwerste auf dem Weg. Macht dich das nicht etwas nachdenklich?«
    »Der Triumph wird dadurch nur noch
spektakulärer.«
    »Oder die Katastrophe, solltest du von der Brücke
stürzen oder das ganze Bauwerk zum Einsturz bringen. Aber warum
gerade jetzt, Quaiche, nachdem du Hela so oft umfahren
hast?«
    »Ich habe einfach das Gefühl, es ist so weit«,
sagte er. »Man kann dergleichen nicht hinterfragen. Es ist
Gottes Wille.«
    »Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall«, seufzte der
Eherne Panzer. Doch dann bekam die blecherne Stimme aus dem billigen
Lautsprecher eine neue Eindringlichkeit. »Quaiche, hör auf
uns. Mach mit der Morwenna, was du willst. Wir werden dich
nicht daran hindern. Aber lass uns zuerst aus diesem
Käfig.«
    »Ihr habt Angst«, sagte er und verzog sein starres
Gesicht zu einem Lächeln. »Jetzt habe ich euch wohl einen
ordentlichen Schrecken eingejagt.«
    »Es muss nicht so enden. Sieh dir die Fakten an, Quaiche. Die
Auslöschungen häufen sich. Du weißt doch, was das
bedeutet?«
    »Gottes Werk nähert sich seiner Vollendung.«
    »Oder der Tarnmechanismus versagt. Du kannst es dir
aussuchen. Du weißt, welche Interpretation wir
bevorzugen.«
    »Ich kenne eure Ketzereien«, sagte er. »Ich will
sie nicht noch einmal hören.«
    »Du hältst uns immer noch für Dämonen,
Quaiche?«
    »Ihr nennt euch Schatten. Ist das nicht
verräterisch?«
    »Wir nennen uns Schatten, denn genau das sind wir, und auch
ihr alle seid Schatten für uns. Das ist eine Tatsache, Quaiche,
kein theologischer Standpunkt.«
    »Ich will nichts mehr davon hören.«
    Das war die Wahrheit: Er hatte die ketzerischen Behauptungen oft
genug gehört. Es waren Lügen, die ihn nur in seinem Glauben
wankend machen wollten. Er hatte immer wieder versucht, sie aus
seinem Kopf zu verdrängen, aber es war ihm nicht gelungen.
Solange der Eherne Panzer – solange das Ding in seinem Innern
– bei ihm blieb, würde er diese Unwahrheiten niemals
vergessen. Einmal hatte er in einem Augenblick der Schwäche
einen Fehler begangen, der ebenso unverzeihlich gewesen war wie jener
andere, mit dem er die Stimmen zwanzig Jahre vorher überhaupt
heraufbeschworen hatte. Er war einigen ihrer ketzerischen
Behauptungen nachgegangen, indem er entsprechende Anfragen an die
Archive der Morwenna richtete.
    Die Schatten sprachen von einer Theorie, von der er nie zuvor
gehört hatte. Doch als er in den ältesten Archiven suchte
– in Aufzeichnungen, die sich in den fragmentarischen

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