Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
und
korrumpierten Datenspeichern von Ultra-Handelsschiffen über
Jahrhunderte erhalten hatten –, blitzten Scherben verlorenen
Wissens auf, flüchtige Hinweise, die sein Geist vorsichtig zu
einem Ganzen zusammensetzte.
    Es ging um die so genannte Branen-Theorie.
    Dabei handelte es sich um ein Modell des Universums, eine antike
kosmologische Theorie, die siebenhundert Jahre früher für
kurze Zeit sehr populär gewesen war. Soweit Quaiche sehen
konnte, war die Theorie bisher nicht widerlegt, sondern nur beiseite
geschoben worden, als neuere und buntere Spielzeuge auftauchten.
Damals war es nicht so ohne weiteres möglich gewesen, die
rivalisierenden Modelle zu prüfen, also fielen und standen sie
zwangsläufig mit ihrer Eleganz und damit, wie leicht sie mit den
Knüppeln und Haken der Mathematik zu bändigen und zu
manipulieren waren.
    Die Branen-Theorie unterstellte, das von den Sinnen vermittelte
Universum sei nur ein Splitter eines größeren Ganzen, eine
Lage in einem Stapel aneinander grenzender Realitäten. Für
Quaiche weckte dieses Modell einer weltlichen Schicht, eines
wahrnehmbaren Realitätssubstrats, das zwischen Himmel und
Hölle eingezwängt war, theologische Assoziationen, die ihm
sehr entgegenkamen. Wie oben, so unten.
    Aber die Branen-Theorie hatte mit Himmel und Hölle nichts zu
tun. Sie war als Reaktion auf ein anderes Modell, die Stringtheorie,
entstanden, genauer gesagt, als ein Problem innerhalb der
Stringtheorie, das unter dem Namen Hierarchieproblem bekannt war.
    Eine neue Ketzerei. Aber er konnte nicht widerstehen, noch tiefer
zu graben.
    Die Stringtheorie postulierte, die fundamentalen Bausteine der
Materie seien auf der kleinsten vorstellbaren Ebene lediglich
eindimensionale Fäden aus Energie beziehungsweise Materie. Diese
Fäden könnten wie Gitarrensaiten in verschiedenen Moden
vibrieren oder schwingen. Jeder dieser Moden entspreche einem
bekannten Teilchen auf der klassischen Ebene. Quarks, Elektronen,
Neutrinos, sogar Photonen seien nichts anderes als verschiedene
Anregungszustände dieser fundamentalen Strings. Selbst die
Gravitation stellte sich als eine Manifestation des Stringverhaltens
heraus.
    Doch die Schwerkraft war auch das Problem. Auf der klassischen
Ebene – im bekannten Universum mit seinen Menschen und
Gebäuden, Schiffen und Welten – war die Schwerkraft um
Größenordnungen schwächer als die anderen
Naturkräfte. Gewiss, sie hielt die Planeten auf ihren
Umlaufbahnen um die Sonnen. Gewiss, sie hielt die Sonnen auf ihren
Umlaufbahnen um das Massezentrum der Galaxis. Aber verglichen mit den
anderen Naturkräften war sie kaum vorhanden. Wenn die Morwenna mit einem ihrer elektromagnetischen Greifer ein
Stück Metall von einem Schlepper hob, wirkte der Magnet gegen
die gesamte Gravitationskraft, die Hela aufzubringen vermochte.
Wäre die Gravitation so stark gewesen wie die anderen
Kräfte, dann hätte sie die Morwenna zu einem
Pfannkuchen von Atomdicke zusammengedrückt, einem Film aus
kollabiertem Metall auf der vollkommen glatten Kugeloberfläche
des kollabierten Mondes. Erst die extreme Schwäche der
Gravitationskraft auf der klassischen Ebene machte überhaupt
Leben möglich.
    Doch die Stringtheorie postulierte, die Schwerkraft sei eigentlich
eine sehr starke Kraft, wenn man sie nur genau genug betrachte. Auf
der Planck-Länge, der kleinstmöglichen Längenskala,
werde sie so stark wie die anderen Kräfte. Auf dieser Skala
erscheine die Realität auch in anderer Hinsicht ziemlich
verändert: Eingerollt wie tote Kellerasseln zeigten sich dort
sieben weitere Dimensionen – Hyperräume, die nur auf der
mikroskopischen Skala der Quanteninteraktionen zugänglich
seien.
    Bei dieser Sicht der Dinge gab es jedoch ein ästhetisches
Problem. Die anderen Kräfte – die zu einer elektroschwachen
Wechselwirkung zusammengefasst wurden – manifestierten sich bei
einer bestimmten charakteristischen Energie. Doch die starke
Schwerkraft der Stringtheorie zeigte sich erst bei einer Energie, die
zehn Millionen Milliarden Mal größer war als für die
elektroschwachen Kräfte. Solche Energien waren experimentell
nicht zu erreichen. Das so genannte Hierarchieproblem erregte
großen Anstoß. Die Branen-Theorie war ein Versuch, dieses
krasse Missverhältnis aufzulösen.
    Die Branen-Theorie behauptete – so weit Quaiche ihr folgen
konnte –, tatsächlich sei die Gravitationskraft auch auf
der klassischen Skala so stark wie die elektroschwachen Kräfte.
Aber sie versickere, bevor sie eine

Weitere Kostenlose Bücher