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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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nächste Eingang muss mindestens ein paar
hundert Meter über dem Meeresspiegel liegen. Die Flugzeuge
landen immer dicht unter der Spitze.« Er wiederholte: »Sie
werden es niemals schaffen. Sie sind wahnsinnig.«
    »Das sind sie nicht«, sagte Urton. »Sie haben nur
Angst. Richtig große Angst. Die Frage ist, ob wir uns
anschließen sollten.«
    Vasko sagte nichts. Er beobachtete, wie eines der Fünkchen
ins Meer stürzte.
    Minutenlang standen sie so und betrachteten das Schauspiel. Es gab
keinen Absturz mehr, und die anderen Kletterer setzten ihren
langsamen Aufstieg unbeirrt fort, ohne sich von dem Unglück
abschrecken zu lassen, das doch viele von ihnen mit angesehen haben
mussten. Ganz unten, wo die Boote gegen den Rumpf krachten, wagten
sich neue Kletterer an den Aufstieg. Etliche Boote hatten
kehrtgemacht und glitten langsam durch die Bucht dem Festland zu,
aber sie kamen nur mühsam voran, und unter den Wartenden am Ufer
stieg die Spannung.
    Die Sicherheitsleute konnten die wütenden und
verängstigten Menschen, die darauf warteten, zum Schiff gefahren
zu werden, kaum noch in Schach halten. Vasko sah einen von ihnen
aufgeregt in seinen Armbandkommunikator sprechen. Offensichtlich ein
Hilferuf. Er war noch nicht ganz fertig, als ihn jemand zu Boden
stieß.
    »Wir sollten etwas unternehmen«, sagte Vasko.
    »Wir sind nicht im Dienst, und zu zweit können wir
ohnehin nichts ausrichten. Sie müssen sich eben etwas einfallen
lassen. Lange können sie den Deckel nicht mehr draufhalten. Und
wenn der Kessel überkocht, möchte ich lieber nicht mehr
hier sein.« Sie deutete zum Ufer. »Ich habe die Meldungen
abgehört, bevor ich ging. Östlich der Hohen Muschel ist es
ruhiger. Ich habe Hunger und könnte auch einen Schluck
vertragen. Kommst du mit?«
    »Appetit habe ich eigentlich nicht«, sagte Vasko. Er war
allmählich hungrig geworden, bis er den Kletterer ins Meer
stürzen sah. »Aber ein Drink wäre nicht schlecht. Bist
du sicher, dass noch irgendwo geöffnet ist?«
    »Ich weiß ein paar Kneipen, wo wir es probieren
könnten«, sagte Urton.
    »Wenn das so ist, kennst du dich hier besser aus als
ich.«
    »Dein Problem ist, dass du zu wenig unter Menschen
gehst«, sagte sie. Sie schlug ihren Mantelkragen hoch und
drückte sich die Mütze auf den Kopf. »Nun komm, lass
uns verschwinden, bevor es ungemütlich wird.«
     
    Urton hatte das Viertel östlich der Muschel richtig
eingeschätzt. Hier wohnten viele Sicherheitsleute, deshalb war
die Gegend immer schon regierungstreu gewesen. Nun herrschte eine
verstockte, vorwurfsvolle Ruhe. Auf den Straßen war nicht mehr
los als sonst um diese Zeit, und obwohl viele Lokale geschlossen
hatten, war die Bar, an die Urton gedacht hatte, noch
geöffnet.
    Sie führte Vasko durch den Schankraum in eine Nische mit zwei
Stühlen und einem Tisch, die aus der Versorgungszentrale
abgezweigt worden waren. Über der Nische hing ein Bildschirm,
der auf den Regierungssender eingestellt war, aber im Moment nur ein
Bild von Clavain zeigte. Es war erst ein paar Jahre alt, hätte
aber auch vor Jahrhundert aufgenommen worden sein können. Der
Mann, mit dem Vasko in den letzten zwei Tagen zusammen gewesen war,
hatte doppelt so alt ausgesehen, doppelt so sehr vom Zahn der Zeit
und von Härten und Entbehrungen gezeichnet. Unter Clavains
Gesicht standen zwei Jahreszahlen, die etwa fünfhundert Jahre
auseinander lagen.
    »Ich hole uns ein Bier«, sagte Urton in einem Ton, der
keinen Widerspruch duldete. Sie hatte Mantel und Mütze
abgenommen und beides auf einen Stuhl geworfen.
    Vasko sah sie im Halbdunkel der Bar verschwinden. Vermutlich war
sie hier Stammgast. Auf dem Weg zur Nische hatte er mehrere Gesichter
gesehen, die ihm von der SD-Ausbildung her bekannt vorkamen. Einige
hatten Seetang geraucht – eine bestimmte Sorte, die eine leicht
narkotisierende Wirkung hatte, wenn man sie trocknete und nach einem
bestimmten Verfahren behandelte. In der Ausbildung war das Zeug
ebenfalls im Umlauf gewesen. Es war zwar verboten, aber immer noch
leichter zu bekommen als die Schwarzmarktzigaretten, die angeblich
aus einem ständig schrumpfenden Vorrat im Bauch der Sehnsucht
nach Unendlichkeit stammten.
    Als Urton zurückkehrte, hatte auch Vasko seinen Mantel
ausgezogen. Sie stellte zwei Gläser mit einer widerlich gelben
Flüssigkeit auf den Tisch, die verdächtig nach Urin
aussah.
    Vasko kostete vorsichtig. Das Getränk war aus einer anderen
Seetangart hergestellt und nur sehr entfernt als Bier

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