Offenbarung
nach außen bewegten. »Viel schlimmer
kann es wohl nicht mehr werden?« Sie schlug die Augen wieder auf
und schüttelte den Kopf, um die dumpfe Benommenheit zu
vertreiben. »Scorp – habt ihr Kontakt zu
Remontoire?«
»Nichts.«
»Aber du bist immer noch überzeugt, dass er da oben
ist?«
»Ich bin von gar nichts überzeugt. Ich richte mich nur
nach den zuverlässigsten Informationen, die ich habe.«
»Glaubst du nicht, wir hätten inzwischen ein Zeichen
erhalten, oder er hätte versucht, Verbindung aufzunehmen, wenn
er da oben wäre?«
»Das Zeichen war Khouri«, sagte Scorpio.
»Warum haben sie dann nicht jemanden
hinterhergeschickt?«, gab Antoinette zurück. »Wir
müssen zu einer Entscheidung kommen, Scorp: Wollen wir abwarten,
oder wollen wir zusehen, dass wir von Ararat wegkommen?«
»Die Alternativen sind mir bewusst, glaub mir.«
»Wir können nicht ewig warten«, sagte Antoinette.
Jetzt klang Frustration aus ihrer Stimme. »Wenn Remontoire die
Schlacht verliert, sitzen wir unter einem Himmel voller Wölfen
fest. Wenn das geschieht, gibt es keinen Ausweg mehr, selbst wenn sie
Ararat verschonen. Dann sind wir eingeschlossen.«
»Ich sagte bereits, ich kenne die Alternativen.«
Sie hatte die Drohung in seiner Stimme gehört. Natürlich
wusste er Bescheid. »Entschuldige bitte«, sagte sie.
»Ich… ich weiß nur nicht, was wir sonst tun
sollen.«
Eine Weile schwiegen alle. Draußen raste im Tiefflug ein
Flugzeug mit einer weiteren Ladung Flüchtlingen vorbei und
schwenkte ab. Antoinette wusste nicht, ob es Menschen zum Schiff
brachte oder auf die andere Seite der Insel. Seit man eingesehen
hatte, dass eine Evakuierung unvermeidlich war, wurden die
Anstrengungen auf beide Maßnahmen gleichmäßig
verteilt.
»Hat Aura etwas Brauchbares zu bieten?«, fragte
Vasko.
Scorpio wandte sich ihm zu. Das Leder seiner Uniform knarrte.
»Woran dachten Sie?«
»Das Zeichen war nicht Khouri«, sagte Vasko. »Das
Zeichen war Aura. Khouri mag manches wissen, aber Aura ist der
heiße Draht. Mit ihr müssen wir sprechen, denn sie ist
diejenige, die uns vielleicht sagen kann, was zu tun ist.«
»Schön, dass Sie sich so gründlich damit
beschäftigen«, knurrte Scorpio.
»Und weiter?«, beharrte Vasko.
Antoinette erschrak. Die Atmosphäre im Konferenzraum war von
Anfang an nicht gerade entspannt gewesen, aber jetzt sträubten
sich die Härchen auf ihrem Handrücken. Sie hätte nie
gewagt, so mit Scorpio zu reden, und sie kannte auch nicht viele
andere, die das taten.
Aber Scorpio antwortete nur ruhig: »Sie – Khouri –
hat das Wort wiederholt.«
»Das Wort?«
»Hela. Sie hat es seit der Reanimierung mehrmals gesagt, aber
wir wussten nicht, was es bedeutete oder ob es überhaupt wichtig
war. Doch diesmal kam ein zweites Wort dazu.« Er setzte sich
zurecht. Wieder knarrte das Leder. Obwohl er den Anschein erweckte,
über den Dingen zu stehen, strahlte er eine Gewalttätigkeit
aus, die wie ein Schauspieler hinter den Kulissen auf ihren Auftritt
zu warten schien.
»Das zweite Wort?«, fragte Vasko.
»Quaiche«, antwortete Scorpio.
Die Frau ging zum Meer. Der Himmel war von einem brutalen,
gemarterten Grau, und die glitschigen Felsen unter ihren
Füßen verziehen keinen falschen Schritt. Sie
fröstelte, weniger vor Kälte, denn die Luft war schwül
und drückend, als vor Angst. Noch einmal sah sie über die
Küste zu den Ausläufern der Siedlung zurück. Die
Gebäude am Rand wirkten verlassen und verwahrlost. Einige waren
eingefallen und nie wieder bezogen worden. Kaum anzunehmen, dass
jemand in der Nähe war und sie beobachtete. Wobei das
natürlich keine Rolle gespielt hätte. Niemand konnte ihr
verbieten, hier zu sein, und niemand konnte ihr verbieten, ins Meer
zu gehen. Von ihren eigenen Schwimmern hätte sie das nie
verlangt, doch daraus folgte nicht, dass sie gegen die Gesetze der
Kolonie oder auch nur gegen den Codex des Schwimmerkorps
verstieß. Es mochte vermessen sein, wahrscheinlich auch
sinnlos, aber das war nicht zu ändern. Der Drang, irgendwie
tätig zu werden, war wie ein bohrender Schmerz immer
stärker geworden, bis sie ihn nicht mehr ignorieren konnte.
Den letzten Anstoß hatte Vasko Malinin gegeben. Ob er wohl
ahnte, welche Wirkung seine Worte gehabt hatten?
Da, wo die Küstenlinie in die Gegenrichtung abbog, hielt Marl
Pellerin an. Vor ihr lag der Strand, ein grauer Strich, der weit
voraus in der Mauer aus Meeresnebel und Wolken verschwand, von der
die Bucht auf allen Seiten
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