Offenbarung
war
nicht wirklich mit dem Herzen dabei.«
Antoinette beugte sich vor. Zumindest der Tisch war vollkommen
real. »John, wir müssen dringend über etwas
sprechen.«
»Seien Sie kein Spielverderber. Ich hatte gerade erst
angefangen, mit meinen alten Kameraden zu plaudern.«
»Diese Leute sind tot, John. Sie starben – grob
geschätzt – vor drei- bis vierhundert Jahren. Also Schluss
mit dem Nostalgietrip, ja? Sie haben es verdammt nötig, das Hier
und Heute in den Griff zu bekommen.«
Er zwinkerte ihr zu und nickte zu einem der am Tisch Sitzenden
hin. »Siehst du Kolenkow? Die mit den zwei
Köpfen?«
»Wie könnte sie mir entgehen?«, seufzte
Antoinette.
»Der Kopf auf ihrer Schulter ist ihr Bruder. Sie hatten sich
gemeinsam gemeldet. Er wurde verwundet. Die Spinnen erwischten ihn
mit einem Todesbesen. Sofortige Enthauptung. Jetzt züchtet man
ihm auf Deimos einen neuen Körper. Inzwischen kann man den Kopf
auch an eine Maschine hängen, aber es ist immer besser, wenn er
an einen richtigen Körper angeschlossen ist.«
»Klar doch. Captain…«
»Also trägt Kolenkow den Kopf ihres Bruders so lange,
bis der Körper fertig ist. Sie könnten sogar gemeinsam in
die Schlacht ziehen. Habe ich schon erlebt. Die Spinnen sind nicht so
leicht zu erschrecken, aber mit zweiköpfigen Soldaten wäre
es vielleicht zu schaffen.«
»Captain. John. Hören Sie mir zu. Sie müssen sich
auf die Gegenwart konzentrieren. Wir befinden uns hier auf Ararat in
einer ganz bestimmten Situation. Ich weiß, dass Sie sich daran
erinnern – wir hatten schon darüber gesprochen.«
»Ach ja, das«, sagte er. Er hörte sich an wie ein
Kind, dem man am ersten Ferientag mit Hausaufgaben kam.
Antoinette schlug so heftig auf den Tisch, dass ihr die Faust
wehtat. »Ich weiß, Sie befassen sich nicht gern mit dem
Thema, John, aber wir müssen trotzdem darüber reden. Sie
können nicht einfach aufbrechen, wenn Ihnen danach zumute
ist.
Damit retten Sie vielleicht ein paar tausend Menschen, aber viele
mehr kommen dabei ums Leben.«
Die Gesellschaft veränderte sich. Antoinette war immer noch
von Soldaten umgeben – sie erkannte sogar einige der Gesichter
–, aber jetzt schienen sie etliche Kriegsjahre mehr hinter sich
zu haben. Und es war ein schlimmer Krieg. Der Captain hatte eine
klobige Armprothese, wo eben noch ein unversehrter Arm gewesen war.
Die Anzüge bestanden nicht mehr aus Insektenspeichel, sondern
aus ölig verschmierten Platten, die schuppenförmig
übereinander lagen und hyperreflektiv waren wie gefrorenes
Quecksilber.
»Verdammtes Demarchistenpack«, sagte der Captain.
»Überließ uns den ganzen tollen Biotechkram bis zu
dem Moment, wo wir ihn wirklich brauchten. Wir standen kurz davor,
die Spinnen zu schlagen. Da kündigten sie die Lizenzen mit der
Begründung, wir hätten gegen die Nutzungsbedingungen
verstoßen. Das schöne flexible Zeug ist über Nacht
ganz einfach weggeschmolzen. Biowaffen, Anzüge –
alles dahin. Sieh dir an, womit wir jetzt arbeiten
müssen.«
»Sie werden es schon schaffen«, sagte Antoinette.
»Captain, hören Sie zu. Die Musterschieber schleppen das
Schiff in sichere Entfernung. Sie müssen ihnen Zeit
geben.«
»Sie hatten Zeit«, sagte er. Antoinette schöpfte
Hoffnung. Er hatte einen lichten Moment und nahm die Verbindung zur
Gegenwart wieder auf.
»Nicht genug«, sagte sie.
Er ballte die Stahlfaust seines neuen Arms. »Du begreifst
nicht. Wir müssen Ararat verlassen. Die Fenster über uns
öffnen sich.«
Sie spürte ein Kribbeln im Nacken. »Fenster,
John?«
»Ich spüre sie. Ich spüre vieles. Verdammt, ich bin
ein Schiff.«
Plötzlich war Antoinette mit dem Captain allein. In seiner
spiegelblanken Rüstung sah sie einen Vogel über den Himmel
ziehen.
»Sie sind ein Schiff. Gut. Dann benehmen Sie sich auch so,
hören Sie auf zu jammern und übernehmen Sie als Erstes die
Verantwortung für Ihre Besatzung. Mich eingeschlossen. Was sind
das nun für Fenster?«
Er wartete eine Weile. Hatte sie ihn erreicht, oder hatte sie ihn
noch tiefer in die Labyrinthe der Regression getrieben?
»Fluchtwege«, sagte er endlich. »Freie Kanäle.
Sie öffnen sich und schließen sich wieder.«
»Sie könnten sich irren. Und das wäre nun wirklich
eine Katastrophe.«
»Ich glaube nicht, dass ich mich irre.«
»Wir warten und hoffen schon so lange auf ein Zeichen«,
sagte Antoinette. »Eine Nachricht von Remontoire. Aber er meldet
sich nicht.«
»Vielleicht kommt er nicht durch. Vielleicht versucht er
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