Offenbarung
vergilbter
Augenblicke, dünn und durchsichtig wie Buntglasfenster.
Rachmika Els. Vielleicht war das nicht einmal ihr richtiger
Name.
Der Dekan wartete in seinem Turmzimmer mit der nächsten
Ultra-Delegation. Eine Sonnenbrille verdeckte den Lidspreizer. Als
Rachmika eintrat, war die Luft so eigenartig unbewegt, als hätte
seit etlichen Minuten niemand mehr gesprochen. Sie beobachtete, wie
die Scherben ihrer selbst durch das Labyrinth von Spiegeln schlichen,
und bemühte sich, ihre Gesichtszüge zu ordnen und alle
Spuren des verwirrenden Gesprächs mit dem Generalmedikus zu
tilgen.
»Sie kommen spät, Miss Els«, bemerkte der
Dekan.
»Ich wurde aufgehalten«, erklärte sie und
hörte selbst, wie ihre Stimme zitterte. Grelier hatte ihr
ausdrücklich verboten, ihren Besuch im Offizium zu
erwähnen, aber irgendeine Entschuldigung musste sie wohl
vorbringen.
»Setzen Sie sich. Trinken Sie einen Schluck Tee. Ich plaudere
gerade mit Mr. Malinin und Miss Khouri.«
Sie wusste nicht, wo sie die Namen gehört hatte, aber sie
waren ihr nicht fremd. Auch als sie die beiden Besucher ansah,
überfiel sie dieses Kribbeln des Wiedererkennens. Sie sahen
nicht wie Ultras aus, dafür waren sie zu normal. Sie hatten
keine sichtbaren Prothesen, nichts fehlte, nichts war
aufgerüstet, nichts wies auf genetische Veränderungen oder
chimärische Fusionen hin. Der Mann war groß, schlank und
dunkelhaarig und etwa zehn Jahre älter als sie selbst. Er sah
nicht schlecht aus, war sich dessen aber etwas zu sehr bewusst. Er
trug eine steife rote Uniform, hielt sich sehr gerade und hatte die
Hände auf dem Rücken. Als sie sich an den kleinen Tisch
setzte und sich Tee einschenkte, beobachtete er sie mit auffallendem
Interesse. Bisher war sie für die Ultras nur Teil des Mobiliars
gewesen. Bei diesem Malinin spürte sie Neugier. Auch die andere
Besucherin – Khouri – musterte sie forschend. Khouri war
eine zierliche ältere Frau mit traurigen Augen in einem
traurigen Gesicht. Sie sah aus, als hätte man ihr zu viel
genommen und zu wenig zurückgegeben.
Rachmika glaubte, alle beide schon einmal gesehen zu haben.
Besonders die Frau.
»Könnten Sie uns bekannt machen?«, bat der Mann und
nickte zu Rachmika hin.
»Das ist meine Beraterin Rachmika Els«, sagte der Dekan.
Sein Ton ließ erkennen, dass er nicht vorhätte, sich dazu
ausführlicher zu äußern. »Und jetzt, Mr.
Malinin…«
»Wollen Sie nicht auch uns vorstellen?«, mahnte der
Besucher.
Der Dekan justierte einen seiner Spiegel. »Vasko Malinin und
Ana Khouri«, sagte er mit den entsprechenden Handbewegungen.
»Die menschlichen Vertreter der Sehnsucht nach Unendlichkeit, eines Ultraschiffs, das vor kurzem in unserem System eingetroffen
ist.«
Wieder sah der Mann Rachmika an. »Bisher war keine Rede
davon, dass die Verhandlungen in Anwesenheit von Beratern stattfinden
sollten.«
»Haben Sie dagegen etwas einzuwenden, Mr. Malinin? In diesem
Fall würde ich Miss Els bitten, wieder zu gehen.«
»Nein«, sagte der Ultra nach kurzem Überlegen.
»Es spielt keine Rolle.«
Der Dekan bat seine Besucher, sich zu setzen. Sie nahmen ebenfalls
an dem Tischchen Platz. Rachmika schenkte ihnen Tee ein.
»Was hat Sie in unser System geführt?«, fragte der
Dekan den Ultra.
»Das Übliche. Wir haben den Bauch voller
Flüchtlinge aus den inneren Systemen. Viele wollten
ausdrücklich hierher gebracht werden, bevor die
Haldora-Auslöschungen ihren Höhepunkt erreichen. Die Motive
kümmern uns nicht, solange sie bezahlen. Die anderen wollen
weiter hinaus, so weit wie möglich weg von den Wölfen. Wir
selbst haben natürlich bestimmte technische Bedürfnisse.
Aber wir haben nicht vor, sehr lange zu bleiben.«
»An Flitzerfossilien interessiert?«
»Wir sind aus einem anderen Grund hier«, sagte der Mann
und strich eine Falte an seiner Uniform glatt. »Wir
interessieren uns für Haldora.«
Quaiche hob die Hand und nahm die Sonnenbrille ab. »Tun wir
das nicht alle?«
»Nicht im religiösen Sinn«, antwortete der Ultra.
Der Anblick von Quaiches künstlich offen gehaltenen Augenlidern
schien ihn nicht weiter zu berühren. »Wir haben nicht die
Absicht, irgendwelche Glaubensvorstellungen zu erschüttern.
Allerdings wurde das Haldora-Phänomen seit der Entdeckung dieses
Systems so gut wie nie wissenschaftlich erforscht. Die Bereitschaft
dazu wäre durchaus vorhanden gewesen, aber die hiesigen
Behörden – die adventistische Kirche eingeschlossen –
wollten keine Untersuchung vor Ort
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