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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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prahlerischen Behauptung, er hätte
keine inneren Organe verletzt, doch Recht behalten. Das hieß
natürlich nicht, dass Scorpios Blut nicht in Strömen
fließen würde, sobald man die Waffen entfernte. Warum
brauchte der Sicherheitsdienst nur so lange, um ihn zu finden?
    Zwanzig Soldaten, dachte Scorpio. Genug, um Ärger zu machen,
gewiss, aber doch wohl kaum ausreichend, um das ganze Schiff
einzunehmen. Die Delegierten hatten immer gewusst, dass sie keine
größeren Feuerwaffen auf die Sehnsucht nach
Unendlichkeit würden schmuggeln können, nicht in einer
Zeit so voller Misstrauen. Aber Seyfarth war ihm vorgekommen wie ein
Mann, der wusste, was er tat, ein Mann, der sich wohl kaum für
ein Selbstmordkommando gemeldet hätte.
    Scorpio stöhnte, aber diesmal nicht vor Schmerz, sondern weil
er seinen fatalen Fehler erkannte. Niemand konnte ihm vorhalten, dass
er die Delegierten an Bord gelassen hatte: Hier war er
überstimmt worden. Und die wahre Funktion der Rüstungen war
ihm nur deshalb entgangen, weil er von diesem speziellen Trick noch
nie gehört hatte. Immerhin hatte er die Anzüge gescannt
– auch wenn es sinnvoller gewesen wäre, sie sich genau
anzusehen, anstatt sie zu durchleuchten –, und dabei war ihm
nichts Verdächtiges aufgefallen. Man hätte sie den
Delegierten schon abnehmen und in einem Labor untersuchen
müssen, um die mikroskopisch dünnen Sollbruchstellen zu
finden. Nein: Auch in diesem Punkt hatte er sich nichts vorzuwerfen.
Aber er hätte die Triebwerke nicht zünden dürfen.
Warum hatten die Adventisten sie überhaupt sehen wollen?
Hätten sie das Schiff nicht beim Anflug auf das System
beobachten können, wenn sie daran interessiert waren?
    Wenn er sie richtig einschätzte, war es ihnen in Wirklichkeit
um etwas ganz anderes gegangen: Sie hatten die Triebwerke benutzt, um
ein Signal an Hela zu senden. Der Schubstoß bedeutete, dass sie
seine Sicherheitsschranken passiert und ihre Position erreicht hatten
und nun mit der Übernahme beginnen konnten.
    Das Zünden der Triebwerke war eine Aufforderung gewesen,
Verstärkung zu schicken.
    Bevor er diese Überlegung zu Ende geführt hatte, ging
abermals ein Ächzen durch das Schiff. Doch diesmal war es ein
voller, etwas falscher Ton wie von einer großen Glocke, die
einen Sprung hatte.
    Scorpio schloss die Augen. Das Geräusch kannte er. Es waren
die automatischen Rumpfgeschütze. Die Sehnsucht nach
Unendlichkeit wurde nicht nur von innen, sondern auch von
außen angegriffen. Großartig, dachte er.
Allmählich zeigte sich, dass dies einer jener Tage war, an denen
er besser im Kälteschlaftank geblieben wäre. Noch besser
wäre gewesen, das Auftauen nicht zu überleben.
    Im nächsten Moment erbebte das ganze Schiff. Die Schwingungen
übertrugen sich durch die scharfkantigen Spieße, die ihn
an der Wand festhielten. Er schrie und verlor ein zweites Mal das
Bewusstsein.
    Schmerzen holten ihn wieder zurück – schlimmer, als er
sie bisher gespürt hatte, hart und seltsam rhythmisch, als
hätte er im Schlaf Krämpfe bekommen. Aber er bewegte sich
von sich aus überhaupt nicht. Dafür blähte sich die
Wand, an die er geheftet war, und zog sich wieder zusammen wie eine
riesige atmende Lunge.
    Und auf einmal war er frei. Es ging ganz unspektakulär. Er
fiel mit allen vieren auf das Deck, sein Unterkiefer tauchte in den
schmutzigen, stinkenden Schiffsschleim. Die beiden scharfen
Spieße fielen klappernd neben ihm zu Boden. Er versuchte, auf
die Knie zu kommen und stellte überrascht fest, dass sich der
Schmerz höchstens verdoppelte oder verdreifachte, wenn er sich
auf die Arme stützte. Es war also nichts gebrochen –
zumindest nichts, was ihn beim Gebrauch seiner Arme allzu sehr
eingeschränkt hätte.
    Scorpio kämpfte sich zum Stehen hoch und betastete die erste
und dann an die zweite Wunde. Alles war voller Blut, aber es spritzte
nicht aus einer verletzten Arterie hervor. Vermutlich war es bei den
Austrittswunden nicht anders. Ob innere Blutungen vorlagen, konnte er
nicht sagen, aber darum konnte er sich auch noch kümmern, wenn
sich irgendwelche Schwierigkeiten zeigten.
    Da er noch immer nicht genau wusste, was eigentlich geschehen war,
kniete er abermals nieder und hob die erste Messerscherbe – die
Bumerangwaffe – auf. Die Wölbung der ursprünglichen
Rüstung – das Fragment stammte aus einem der
größeren Teile – war gut zu erkennen. Er warf das
Ding von sich und stieß das zweite mit dem Fuß weg. Dann
griff er, von Schmerzen gepeinigt,

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