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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hatte keinen einzigen Schuss
abgegeben.
    Der zweite Adventist fuhr sich mit der Hand über das Gesicht,
als wollte er eine Biene verscheuchen.
    »Nicht bewegen«, sagte Cruz und trat vorsichtig
näher. »Wenn du ganz still hältst, hast du noch
Chancen, den heutigen Tag zu überleben.«
    Er kratzte weiter in seinem Gesicht herum, vor allem im Umkreis
des Auges. Endlich bohrte er die Finger in die Augenhöhle, zog
etwas heraus und hielt es einen Moment lang zwischen Daumen und
Zeigefinger: ein makelloses menschliches Auge, fest wie Glas, blutig
wie ein grausiger roher Leckerbissen.
    »Ich sagte…«, begann Orca Cruz.
    Er drückte mit den Fingern zu. Das Auge zerbrach. Chromgelbe
Rauchschwaden stiegen auf. Cruz spürte, wie das Nervengift in
ihre Lungen drang.
    Niemand brauchte ihr zu sagen, dass es tödlich war.
     
    Aus der Geborgenheit seines Turmgemachs verfolgte der Dekan die
Fortschritte der Übernahme. Rund um Hela stationierte Kameras
lieferten ihm ständig in Echtzeit Bilder des Ultraschiffes, wo
immer es sich auf seinem Orbit befand. Er hatte das
verräterische Aufflackern der Antriebsflamme gesehen: Seyfarths
Botschaft, dass die erste Phase der Operation erfolgreich verlaufen
war. Er hatte den Massenstart der Schiffe der Kathedralengarde
gesehen – ja gespürt –, und er hatte auch gesehen, wie
sich die Geschwader über Hela sammelten und formierten. Kleine,
leichte Schiffe, gewiss, aber dafür zahlreich. Auch ein Schwarm
Krähen konnte einen Menschen zu Tode hetzen.
    Über den Fortgang der Operationen im Innern des Schiffes
hatte er keine Informationen. Wenn Seyfarth sich an die Pläne
gehalten hatte, müssten die zwanzig Mann der Sturmspitze sofort
zum Angriff übergegangen sein, nachdem das Signal an Hela
erfolgt war. Seyfarth war ein tapferer Mann: Er hatte sicher gewusst,
dass seine Chancen, bis zum Eintreffen der Verstärkungstruppen
zu überleben, nicht gerade glänzend waren. Allerdings, und
das durfte man nicht vergessen, war er ein wahrer
Überlebenskünstler. Quaiche ging davon aus, dass der
Hauptmann inzwischen einige seiner Leute verloren hatte, doch dass er
selbst zu den Opfern gehörte, war zu bezweifeln. Er war sicher
noch irgendwo auf dem Schiff und kämpfte weiter.
    Der Dekan hätte viel darum gegeben, zu erfahren, was in
diesem Moment im Schiff vorging. Er hatte so eifrig geplant, so viele
Jahre damit verbracht, sich dieses verrückte Abenteuer
auszudenken und in die Tat umzusetzen, dass er es höchst
ungerecht fand, nicht mit ansehen zu dürfen, ob sich alles auch
wunschgemäß entwickelte. Die Zeit des Wartens hatte er in
seinen Träumen immer übersprungen: Entweder hatte er Erfolg
oder nicht. Sich mit den Qualen der Ungewissheit zu
beschäftigen, hatte wenig Sinn gehabt.
    Doch jetzt plagten ihn Zweifel. Die Geschwader trafen auf
unerwarteten Widerstand von den automatischen Rumpfgeschützen.
Auf den Bildern schwebte das Schiff inmitten eines funkelnden Kranzes
von Explosionen wie ein schwarzes Spukschloss in einem Feuerwerk. Die
meisten Ultraschiffe verfügten über
Verteidigungseinrichtungen irgendwelcher Art, deshalb war Quaiche
nicht allzu überrascht gewesen, als sie auch hier eingesetzt
wurden. Bei seiner Tarngeschichte hatte er sogar verlangt, dass sich
das Schiff verteidigen konnte. Aber er hatte nicht mit Waffen
gerechnet, die so schnell und so hart zurückschlagen konnten.
Wenn nun die Streitkräfte im Innern des Schiffes auf ebenso
unerwarteten Widerstand stießen? Wenn Seyfarth tot wäre?
Wenn alles langsam auf eine Katastrophe zusteuerte?
    Sein Krankenstuhl meldete mit einem Klingelsignal den Eingang
einer Nachricht. Zitternd betätigte er den Schalter.
»Quaiche«, sagte er.
    »Bericht von der Kathedralengarde«, sagte eine
gedämpfte, von Statik verzerrte Stimme. »Entsatzeinheiten
drei und acht erfolgreich eingeschleust. Rumpf wurde
durchstoßen; kein größerer Luftverlust.
Verstärkungstrupps befinden sich auf der Sehnsucht nach
Unendlichkeit. Versuchen zu Elementen der Sturmspitze
vorzudringen.«
    Quaiche seufzte. Er war von sich enttäuscht. Natürlich
lief alles nach Plan, und natürlich waren unerwartete
Schwierigkeiten aufgetreten. Das war bei jeder lohnenden Aufgabe so.
Wieso hatte er jemals am Erfolg gezweifelt?
    »Haltet mich auf dem Laufenden«, befahl er.
     
    Die beiden ungleichen Gestalten – der mächtige leere
Raumanzug des Captains und daneben, fast wie ein Kind, das Schwein
– schlurften auf den Schauplatz der Kämpfe zu. Ihr Weg
führte durch

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