Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
mitzunehmen
lohnte, er brauchte keine geliebten Menschen zu suchen und zu retten,
und – wenn er es sich recht überlegte – auch die
Chancen, auf dem Garagendeck ein Fahrzeug zu finden, waren sehr
gering.
    Den Weg konnte er sich auch gleich von hier aus freischneiden.
    Glaur hatte seine Wahl getroffen. Er nahm das Gerät an sich
und trug es zu einer der durchsichtigen Stellen im Fußboden.
Unten kroch immer noch Helas Oberfläche vorbei: Es ging fast
zwanzig Meter in die Tiefe, aber das störte ihn weniger als die
Vorstellung, noch einmal zum nächsthöheren Stockwerk
hinaufzusteigen und sich von dort einen Weg nach draußen zu
suchen. Das Glas und die dazugehörigen Gitter wären leicht
zu durchschneiden. Er brauchte nur noch etwas, um sich auf den Boden
hinunterzulassen.
    Er kehrte in die Werkstatt zurück und holte eine Rolle Kabel.
Wahrscheinlich gäbe es irgendwo auch ein Seil, aber er hatte
keine Zeit, um danach zu suchen. Das Kabel musste genügen. Allzu
viel brauchte es bei Helas geringer Schwerkraft nicht
auszuhalten.
    Als Glaur wieder vor dem Guckloch im Fußboden stand, sah er
sich nach dem nächsten massiven Bauteil um. Da – der
Stützpfeiler für einen der Laufstege war fest am Boden
verschraubt. Und das Kabel war so lang, dass es bis dorthin
reichte.
    Er band ein Ende am Pfeiler fest und kehrte mit der Rolle zur
Glasplatte zurück. Das Kabel endete praktischerweise in einer
Schlinge: Er öffnete seinen Werkzeuggürtel, fädelte
ein Ende durch die Öffnung und machte den Gürtel wieder
zu.
    Das Kabel würde schätzungsweise drei bis vier Meter
über dem Boden zu Ende sein. Die Konstruktion war so primitiv,
dass sich der Techniker in ihm empörte, aber er wollte sich
keine Minute länger als unbedingt nötig in der todgeweihten
Kathedrale aufhalten.
    Er schloss das Helmvisier und vergewisserte sich, dass ausreichend
Luft einströmte. Dann setzte er sich auf den Boden, nahm die
Glasplatte zwischen die Beine, und schaltete den Schneidbrenner ein.
Sobald er den grellen Strahl an das Glas hielt, schoss auf der
anderen Seite ein weiß gefrorener Gasstrahl nach draußen.
Bald würde die ganze Luft in einem orkanartigen Sturm aus der
Halle entweichen. Notklappen würden sich schließen und die
übrige Kathedrale abdichten, aber wenn da oben noch jemand war,
hatte er wohl ohnehin nur noch eine kurze Gnadenfrist. Vielleicht,
dachte Glaur, war er der letzte Mensch auf der Morwenna. Ein
aufregender Gedanke: Er hatte nie erwartet, dass sein Leben einmal so
viel Bedeutung gewinnen könnte.
    Während er weiterschnitt, legte er sich die Geschichten
zurecht, die er erzählen würde.

 
Neunundvierzig

     
     
    Die Kathedralengarde hatte einen ganzen Abschnitt der Sehnsucht
nach Unendlichkeit gesichert. Überall lagen qualmende
Ultra-Leichen herum. Auch ein oder zwei Gardisten waren darunter,
aber die Opfer aus der Besatzung waren weit in der Überzahl.
    Die Gardisten tasteten sich zwischen den Toten hindurch und
stießen sie mit den kirschroten Läufen ihrer
Projektilwaffen und Bosergewehre an. Die Lichter an den
Korridorwänden tauchten die Gefallenen in ein düsteres
ockerfarbenes Licht. Die Opfer hatten mit dem Bild, das man sich
üblicherweise von den Ultras machte, nicht viel gemein. Die
meisten waren naturbelassen: Bei Autopsien mochten Implantate zum
Vorschein kommen, aber von der schillernden Vielfalt mechanischer
Teile, die man sonst mit Ultras in Zusammenhang brachte, war wenig zu
sehen. Die Besatzung bestand wie die Kathedralengarde
hauptsächlich aus Standardmenschen. Der einzige Unterschied war,
dass es unter den Toten ungewöhnlich viele Hyperschweine gab. An
ihnen stocherten die Gardisten mit besonderer Hingabe herum: So etwas
sah man auf Hela nur selten. Wie kamen solche Geschöpfe dazu,
Seite an Seite mit diesen Menschen zu kämpfen, oft noch in der
gleichen Uniform? Wieder eines der vielen Rätsel. Wieder ein
Problem, über das sich jemand anderer den Kopf zerbrechen
mochte.
    »Vielleicht finden wir Scorpio«, sagte einer der
Gardisten zu seinem Kameraden.
    »Scorpio?«
    »Das Schwein, das das Kommando hatte, als Seyfarths Einheit
an Bord kam. Angeblich bekommt man eine Belohnung, wenn man seinen
Leichnam aus dem Schiff holt. Er wäre nicht schwer zu erkennen:
Seyfarth hat ihn hier und hier durchbohrt.« Er deutete auf seine
Schlüsselbeine.
    Der andere drehte ein Schwein mit dem Fuß um. Er war froh um
seinen Helm, denn dadurch blieb ihm wenigstens der Gestank des
Massakers erspart. »Dann

Weitere Kostenlose Bücher