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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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zitterten, vielleicht vom Schock
der Explosion, vielleicht auch vor Erleichterung, weil die Angst vor
der Injektionsnadel von ihr genommen war.
    »Grelier?«, fragte sie leise.
    Aber Grelier antwortete nicht. Sie schaute auf ihn nieder. Erst
jetzt begriff sie, wie schlimm es um ihn stand. Die untere
Hälfte seines Raumanzugs war in sich zusammengefallen, als
wäre ein großer Teil seines Körpers einfach nicht
mehr da.
    Rachmika bückte sich und durchsuchte seine Taschen, bis sie
den Glockenturm- Schlüssel fand. Dann stand sie auf und
trat zurück. Der Generalmedikus zerfiel vor ihren Augen. Kugeln
aus Nichts zerfraßen seinen Körper bis auf einige
gefrorene Rückstände in den Zwischenräumen.
    »Danke, Captain«, sagte sie, ohne zu wissen, warum.
    Sie schaute nach vorne. Die zerstörte Brücke kam immer
näher. Die Zeit wurde knapp.
     
    Rachmika fuhr allein mit dem Fahrstuhl in die Morwenna hinunter. Sie schloss die Augen, um sich von dem Buntglaslicht
nicht ablenken zu lassen. Die Gedanken überstürzten sich:
Quaiche war tot; der Generalmedikus war tot. Quaiche hatte der
Kathedralengarde befohlen, die Gefangenen erst gehen zu lassen, wenn
er die Haltebucht erreicht hätte oder nur noch dreißig
Minuten blieben, bis die Morwenna über den westlichen
Rand der Schlucht stürzte. Und der Eherne Panzer dürfe die
Kathedrale in keinem Fall verlassen. Das hatte er ausdrücklich
betont. Aber der Panzer war schwer und sperrig: Selbst wenn die
Gardisten sich erweichen ließen, ihn auszuhändigen,
würden es länger als dreißig Minuten dauern, ihn nach
draußen zu schaffen. Vielleicht sogar länger als die
wenigen Stunden, die der Kathedrale jetzt noch blieben, bevor sie zu
existieren aufhörte.
    Vielleicht, dachte Rachmika, wäre es an der Zeit, gleich hier
und jetzt ein Abkommen mit den Schatten zu schließen. Auch sie
mussten doch einsehen, dass ihr keine andere Wahl blieb, dass sie
keine Möglichkeit hatte, ihren Abgesandten zu retten. Immerhin
hatte sie ihr Bestes getan. Wenn die hiesigen Schatten Informationen
darüber besaßen, was Rachmika und ihre Verbündeten
tun mussten, um den anderen Schatten den Übergang zu
ermöglichen, dann konnten sie ihr die doch auch gleich geben,
ohne dabei etwas zu verlieren.
    Der Fahrstuhl kam ratternd zum Stehen. Rachmika schob zaghaft das
Gitter beiseite. Nun musste sie den weiten Weg durch das Innere der
Kathedrale zurücklegen, den sie mit Grelier und dem Dekan
gekommen war. Dann musste sie den zweiten Fahrstuhl finden, der sie
nach oben in den Glockenturm brachte. Und bei alledem durfte
sie von keinem der Gardisten gesehen werden, die noch auf der Morwenna geblieben waren.
    Sie verließ die Kabine und öffnete ihr Helmvisier, um
die Luftvorräte des Anzugs zu schonen. Später würden
sie sicher dringend gebraucht werden. In der Kathedrale war es so
still wie noch nie. Sogar der Lärm aus der Maschinenhalle klang
gedämpft. Man hörte keinen Chorgesang, keine Stimmen, die
sich zum Gebet erhoben, keine Prozessionen, die gemessenen Schrittes
dahinwandelten.
    Ihr Herz schlug schneller. Die Morwenna war bereits
verlassen. Die Garde musste den Tumult auf der Landeplattform benutzt
haben, um sich aus dem Staub zu machen. Wenn dem so war, brauchte sie
nur noch ihre Mutter und Vasko zu holen. Hoffentlich war der Eherne
Panzer auch weiterhin zu Gesprächen bereit.
    Sie versuchte, anhand der Bilder in den Glasfenstern den Weg zum Glockenturm zu finden. Doch schon nach den ersten Schritten
tauchten aus einem Anbau zwei Soldaten der Kathedralengarde auf und
bedrohten sie mit ihren Waffen. Sie trugen die Helme mit den
rosaroten Federbüschen auf und hatten die Visiere
heruntergeklappt.
    »Bitte«, flehte Rachmika, »lassen Sie mich durch.
Ich möchte doch nur zu meinen Freunden.«
    »Sie rühren sich nicht von der Stelle«, warnte
einer der Männer und richtete sein Gewehr auf die flackernden
Anzeigen ihres Lebenserhaltungsaggregats. Dann nickte er seinem
Kameraden zu. »Fesseln.«
    Der andere schulterte sein Gewehr und fasste sich an den
Gürtel.
    »Der Dekan ist tot«, sagte Rachmika. »Die
Kathedrale liegt bald auf dem Grund der Schlucht. Fliehen Sie,
solange es noch geht.«
    »Wir haben unsere Befehle«, sagte der Gardist
unbeeindruckt, während sein Kamerad sie gegen die Steinmauer
drängte.
    »Begreifen Sie denn nicht?«, fragte sie. »Es ist
vorbei. Die Lage hat sich geändert. Ihre Befehle gelten nicht
mehr.«
    »Fessle sie! Und stopfe ihr das Maul, wenn du
kannst!«
    Der Gardist

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