Offenbarung
wallte auf.
Es mochte solche Überlegungen nicht.
Er zwang sich, wieder an Helas Topografie zu denken, ein sicheres
Thema. Vielleicht ließ sich die Brücke von ihrem Standort
her erklären. Sie war mehr oder weniger ost-westlich
ausgerichtet, also in Rotationsrichtung des Mondes. Sie befand sich
sehr nahe am Äquator und überspannte einen tiefen
Einschnitt, das auffallendste geografische Merkmal. Der Riss begann
unweit des Nordpols und zog sich schräg über den
Äquator nach Süden. Am breitesten und tiefsten war er in
Äquatornähe, aber auch viele hundert Kilometer
nördlich oder südlich davon war er noch sehr
beeindruckend.
Er hatte ihm den Namen Ginnungagap-Spalte gegeben.
Die Spalte fiel von Nordosten nach Südwesten ab. Westlich
davon lag in der nördlichen Hemisphäre eine geologisch
komplexe gebirgige Hochebene, der er den Namen Westliches
Hyrrokkin-Hochland gegeben hatte. Das Östliche
Hyrrokkin-Hochland zog sich um den Pol herum und grenzte von der
anderen Seite her an die Spalte. Im Süden des westlichen
Gebirges, aber immer noch nördlich des Äquators, befand
sich ein Massiv, dem Quaiche den Namen Glanzheidenkette beschert
hatte. Südlich des Äquators erhob sich ein weiterer
Gebirgszug, die Gullveig-Kette. Westlich davon waren zu beiden Seiten
der Tropen die Gudbrand-Spitze, die Kelda-Ebene, das Ödland von
Vigrid und das Jord-Horn zu erkennen. Für Quaiche hatten all
diese Namen einen berauschend historischen Klang, so als hätte
diese Welt bereits eine reiche Geschichte, geprägt von
siegreichen Eroberungen und mühsamen Grenzüberschreitungen,
bevölkert von Heerscharen von kühnen und tapferen
Helden.
Natürlich kehrte sein Blick bald wieder zur
Ginnungagap-Spalte mit ihrer wundersamen Brücke zurück.
Noch waren kaum Einzelheiten zu erkennen, aber die Brücke war
ganz offensichtlich zu fein gegliedert, zu kunstvoll gestaltet und zu
zierlich für eine Landzunge, die durch einen Erosionsprozess
entstanden war. Sie war bewusst an diese Stelle gebaut worden, und
Quaiche hatte nicht den Eindruck, als hätten dabei Menschen die
Hand im Spiel gehabt.
Was nicht heißen sollte, dass die Menschen dazu nicht
fähig gewesen wären. Sie hatten in den letzten tausend
Jahren eine Menge vollbracht, und eine Brücke – selbst eine
Brücke von so makelloser Eleganz, wie sie hier die
Ginnungagap-Spalte überspannte – über eine vierzig
Kilometer breite Schlucht zu schlagen, wäre kein allzu
verwegenes Unterfangen gewesen. Doch dass Menschen sie hätten
bauen können, hieß noch nicht, dass sie es auch getan
hatten.
Dies war Hela. Ein Mond weit draußen im nirgendwo. Wozu
sollte ein Mensch hier eine Brücke bauen?
Aliens dagegen? Das wäre eine andere Sache.
Zwar reiste die Menschheit seit sechshundert Jahren durch den
Weltraum, ohne je einer Zivilisation zu begegnen, die auch nur
annähernd die Bezeichnungen intelligent, Werkzeuge gebrauchend
oder technisch verdient hätte. Aber es hatte solche Kulturen
einst gegeben. Ruinen fanden sich auf Dutzenden von Welten,
Überreste nicht nur einer, sondern acht oder neun verschiedener
Zivilisationen. Und dabei hatte man bisher nur im Umkreis von wenigen
Dutzend Lichtjahren vom Ersten System gesucht. Wie viele hundert oder
tausend tote Völker in den Weiten der gesamten Galaxis ihre
Spuren hinterlassen haben mochten, konnte man nur ahnen. Was für
Wesen mochten auf Hela gelebt haben? Waren sie auf diesem Eismond
entstanden, oder war er nur eine Zwischenstation auf einer
längst vergessenen Wanderschaft in grauer Vorzeit gewesen?
Wie mochten sie ausgesehen haben? Gehörten sie zu einer der
bekannten Kulturen?
Immer eins nach dem anderen. Diese Fragen mussten warten. Zuerst
musste er die Brücke untersuchen und ihr Alter und ihre
Zusammensetzung bestimmen. Aus der Nähe wären vielleicht
Einzelheiten zu erkennen, die von den Sensoren jetzt noch nicht
erfasst wurden. Vielleicht ließ sich die Hela-Kultur durch
weitere Funde eindeutig einer der Kulturen zuordnen, die er bereits
studiert hatte. Oder die Funde bewiesen genau das Gegenteil: dass es
sich um eine Kultur handelte, auf die bisher noch niemand
gestoßen war.
Wie auch immer, die Entdeckung war von unschätzbarem Wert.
Jasmina konnte auf Jahrzehnte hinaus den Zugang zu Hela kontrollieren
und damit das Prestige zurückgewinnen, das sie in den
vergangenen Jahrzehnten eingebüßt hatte. Sie mochte von
Quaiche enttäuscht gewesen sein, aber dafür musste
sie ihn einfach belohnen.
Von der Konsole der
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