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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hinziehen. Quaiches Tafeln waren
nur so aktuell wie die der Gnostische Himmelfahrt, und da
Jasmina wenig Kontakt mit anderen Ultras pflegte, konnte er nicht
ausschließen, dass das System bereits mit anderen Namen
versehen war. In diesem Fall würden seine eigenen, liebevoll
ausgewählten Bezeichnungen immer wieder aussortiert werden, bis
sie schließlich nur noch auf der untersten Prioritätsebene
der Schiffsdatenbanken herumgeisterten – oder vollends
gelöscht wurden.
    Doch zunächst und vielleicht noch auf Jahre hinaus hatte er
hier das Sagen. Er hatte die Welt Haldora genannt, und solange
niemand Einspruch erhob, war dieser Name so offiziell wie jeder
andere. Morwenna hatte allerdings Recht. Er hatte eigentlich nur
freie Namen aus den Nomenklaturtafeln genommen und sie dem
nächstbesten Objekt angeheftet, zu dem sie halbwegs passten.
Sollte sich das System tatsächlich als wichtig herausstellen,
dann müsste er vielleicht etwas mehr Sorgfalt walten lassen.
    Wenn sich die Brücke als echtes Artefakt erwiese, würde
diese Welt womöglich zum Ziel zahlloser Pilgerfahrten.
    Quaiche lächelte. Vorerst waren die Namen gut genug; wenn sie
ihm nicht mehr gefielen, konnte er sie später immer noch
ändern.
    Er kontrollierte die Entfernung: Hela war nur noch gut
einhundertfünfzigtausend Kilometer weit weg. Bis vor kurzem
hatte sich die helle Seite des Mondes noch als flache Scheibe
gezeigt, graubraun wie schmutziges Eis, unterbrochen von matt
weißen, ockergelben, blassblauen und helltürkisen
Streifen. Inzwischen war die Scheibe dreidimensional geworden und
wölbte sich ihm entgegen wie ein blindes menschliches Auge.
    Hela war klein, aber nur im Vergleich zu erdähnlichen
Planeten. Für einen Mond waren die Werte ganz beachtlich: Es
maß von Pol zu Pol dreitausend Kilometer und stand mit seiner
mittleren Dichte am oberen Ende der Liste von Trabanten, die Quaiche
kannte. Es war sphärisch und wies nur wenige Einschlagkrater
auf. Die Atmosphäre war zu vernachlässigen, aber die
Oberflächentopologie ließ erkennen, dass es in
jüngerer Vergangenheit zu geologischen Veränderungen
gekommen sein musste. Auf den ersten Blick schien der Mond mit
Haldora in gebundener Rotation zu stehen und seiner Mutterwelt immer
dieselbe Seite zuzuwenden, aber die Kartografiesoftware hatte dann
doch eine geringe Restrotation entdeckt. Bei gebundener Rotation
wäre die Rotationsperiode genau so lang gewesen wie ein Umlauf:
in diesem Fall vierzig Stunden. Für den Mond der Erde und viele
andere Monde, die Quaiche besucht hatte, galt: Von einem bestimmten
Punkt der Oberfläche aus betrachtet, stand der Planet, um den
der Mond kreiste – sei es die Erde oder ein Gasriese wie Haldora
–, immer an derselben Stelle am Himmel.
    Auf Hela war das nicht anders. Selbst wenn man hier am
Äquator eine Stelle fände, wo Haldora genau über einem
stand und zwanzig Grad des Himmels verdeckte, würde der Planet
abdriften und sich in einem 40-Stunden-Umlauf um knapp zwei Grad
verschieben. In achtzig Standardtagen – etwas mehr als zwei
Standardmonaten – versänke Haldora unter Helas Horizont, um
einhundertsechzig Tage später auf der gegenüberliegenden
Seite wieder aufzutauchen. Nach dreihundertzwanzig Tagen stünde
es wieder wie zu Anfang des Zyklus im Zenith.
    Die relative Abweichung zwischen der Umlaufperiode von Hela und
einer rotationsgebundenen betrug nur ein Zweihundertstel.
Rotationsbindungen waren eine unvermeidliche Folge der
Gezeitenkräfte, die auf zwei in geringer Entfernung umeinander
kreisenden Körper einwirkten, aber bis der Ausgleich
vollständig war, dauerte es lange. Vielleicht hatte Hela die
gebundene Konfiguration noch nicht erreicht und musste noch langsamer
werden, oder es war in jüngerer Zeit – etwa bei einer
Streifkollision durch einen anderen Himmelskörper –
erschüttert worden. Eine dritte Möglichkeit wäre eine
Störung des Orbits durch eine gravitationelle Wechselwirkung mit
einem schweren dritten Körper.
    Alle drei Alternativen waren denkbar, wenn man wie Quaiche die
Geschichte des Systems nicht kannte. Doch die Unvollkommenheit
störte ihn. Sie war so enervierend wie eine Uhr, die fast genau ging. Auf Erscheinungen wie diese hätte er wohl
verwiesen, wenn jemand behauptet hätte, der Kosmos sei das
Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsaktes. Welcher
Schöpfer hätte so etwas zugelassen, wenn ein winziger
Schubs genügt hätte, um den Fehler zu korrigieren?
    Das Virus in seinem Blut erreichte Siedetemperatur und

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