Offenbarung
Oder steckt noch mehr
dahinter?«
Darauf war Rachmika nicht gefasst. »Natürlich geht es
nur um meinen Bruder.«
»Du hast dir nämlich einen gewissen Ruf erworben«,
erklärte Linxe. »Jedermann weiß, dass du dich
andauernd bei den Ausgrabungen herumtreibst und an einem Buch
arbeitest. Alle sagen, dass sich im ganzen Dorf niemand so brennend
für die Flitzer interessiert wie Rachmika Els. Es heißt,
du schreibst sogar Briefe an die kirchlichen Archäologen und
widersprichst ihren Anschauungen.«
»Was soll ich machen? Ich finde die Flitzer eben unglaublich
spannend«, sagte sie.
»Schon, aber was ist es denn genau, das dich so heiß
macht?«
Linxe hatte ganz harmlos gefragt, aber Rachmika fühlte sich
angegriffen: »Wie bitte?«
»Ich meine, in welchem Punkt haben denn alle anderen in
deinen Augen so entsetzlich Unrecht?«
»Möchten Sie das wirklich wissen?«
»Warum soll ich mir nicht auch deine Meinung
anhören?«
»Aber wenn Sie ganz ehrlich sind, ist es Ihnen vollkommen
einerlei, wer Recht hat. Solange der Boden noch Fossilien hergibt,
schert sich doch kein Mensch darum, was mit den Flitzern wirklich
passiert ist. Und Ihnen geht’s auch nur um die Ersatzteile
für Ihren Eisjammer.«
»Bitte nicht diesen Ton, mein Fräulein«, mahnte
Linxe.
»Entschuldigung.« Rachmika wurde rot und nahm einen
Schluck von der heißen Schokolade. »Es war nicht böse
gemeint. Die Flitzer liegen mir eben am Herzen, und ich glaube
tatsächlich, dass es eigentlich niemanden kümmert, was aus
ihnen geworden ist. Dabei erinnern sie mich sehr an die
Amarantin.«
Linxe sah sie an. »An wen?«
»Die Amarantin waren die Aliens, die sich auf Resurgam
entwickelt hatten. Es waren hoch entwickelte Vogelwesen.« Sie
hatte einen Amarantin für ihr Buch gezeichnet – nicht als
Skelett, sondern so, wie sie ausgesehen haben mussten, als sie noch
lebten. Sie hatte sie im Geist ganz deutlich vor sich gesehen:
glänzende Vogelaugen, ein verschmitzt lächelnder Schnabel,
ein schmaler Alien-Kopf. Ihre Zeichnung hatte keine Ähnlichkeit
mit den offiziellen Rekonstruktionen in den anderen
archäologischen Texten, aber ihr war diese Darstellung
authentischer und lebendiger erschienen als diese toten Bilder, so
als hätte sie einen lebenden Amarantin gekannt, während die
anderen nur aus Knochenfunden ihre Schlüsse zogen. Sie
hätte gern gewusst, ob auch ihre Zeichnungen von lebenden
Flitzern diese Vitalität ausstrahlten.
»Sie wurden vor einer Million Jahren ausgelöscht«,
fuhr sie fort. »Als die Menschen Resurgam kolonisierten, wollten
sie nicht wahrhaben, dass die Macht, die einst die Amarantin
vernichtet hatte, jederzeit zurückkommen und uns das gleiche
antun könnte. Natürlich mit Ausnahme von Dan
Sylveste.«
»Dan Sylveste?«, fragte Linxe. »Bedaure. Auch der
Name sagt mir nichts.«
Rachmika war empört: Wie konnte man nur so unwissend sein?
Aber sie ließ sich nichts anmerken. »Sylveste war der
Leiter der archäologischen Expedition. Als er auf die Wahrheit
stieß, brachten ihn die anderen Kolonisten zum Schweigen. Sie
wollten gar nicht wissen, in welchen Schwierigkeiten sie steckten.
Aber am Ende behielt er bekanntlich Recht.«
»Dann spürst du wohl eine gewisse
Seelenverwandtschaft?«
»Und ob«, sagte Rachmika.
Rachmika erinnerte sich noch genau, wo sie zum ersten Mal auf den
Namen gestoßen war. Er wurde beiläufig in einem der
archäologischen Texte erwähnt, einer langweiligen
Abhandlung über die Musterschieber, die sie sich auf ihr Notepad
geladen hatte. Doch ihr war er wie ein Blitz durch das Gehirn
gefahren. Es war ein erregendes Gefühl, als würde eine
Verbindung hergestellt, als wäre ihr ganzes bisheriges Leben nur
das Vorspiel zu diesem Augenblick gewesen. Ihre Beschäftigung
mit den Flitzern, bis dahin ein kindisches Spiel, wurde zur fixen
Idee.
Sie wusste nicht, warum das so war, aber es ließ sich nicht
leugnen.
Seither hatte sie nicht nur die Flitzer studiert, sondern ihre
Recherchen auch auf das Leben und die Epoche von Dan Sylveste
ausgedehnt. Das war an sich logisch: Es hatte wenig Sinn, die Flitzer
isoliert zu betrachten, sie waren nur das letzte Glied in einer
ganzen Kette ausgestorbener Kulturen, die menschliche Forscher in der
Galaxis entdeckt hatten. Sylveste hatte sich mit der Erforschung
fremder Intelligenzen einen großen Namen gemacht, man konnte
seine Leistungen nicht einfach ignorieren.
Sylveste hatte sich zwischen 2500 und 2570 ausgiebig mit den
Amarantin befasst. Wenn er in
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