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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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eigenes benommenes Gesicht spiegelte sich vor den
Schriftfragmenten. Wangenknochen und Augenhöhlen warfen schwarze
Schatten. Ein solches Gesicht hatte er schon einmal gesehen: das
Antlitz eines Heiligen, eingebrannt in ein Leichentuch. Eine grobe
Skizze, mit kräftigen Kohlestrichen aufs Papier geworfen.
    Das Indoktrinationsvirus in seinem Blut erwachte.
    »Neustart«, befahl er und spuckte mehrere Zahnsplitter
aus.
    Das Schiff reagierte nicht. Quaiche tastete nach der taktilen
Steuerung und wiederholte die Befehlssequenz. Nichts geschah. Er
versuchte es noch einmal. Es war seine einzige Chance. Ohne komplette
Diagnoseverbindung hatte er keine andere Möglichkeit, das Schiff
aufzuwecken.
    Die Konsole flackerte. Das war ein Lebenszeichen; noch war nicht
alles verloren. Er wiederholte den Weckbefehl mehrere Male. Anfangs
schalteten sich weitere Systeme zu, doch als nach acht oder neun
Versuchen keine Fortschritte mehr zu verzeichnen waren, gab er auf.
Er befürchtete, die letzten Energiereserven der Avionik zu
verbrauchen oder die Systeme, die bereits aufgewacht waren, zu sehr
zu belasten. Er musste sich eben mit dem begnügen, was er
hatte.
    Er schloss das linke Auge und las die roten Warnungen: Schon ein
flüchtiger Blick sagte ihm, dass die Räubertochter so schnell nirgendwo mehr hinfliegen würde. Der Angriff
hatte wichtige Flugsysteme zerstört, und durch den Aufprall
gegen die Wand und den langen Sturz in die Schlucht waren die
Hilfssysteme zerschmettert worden. Sein Juwel, sein kostbares
Privatraumschiff war ruiniert. Ob die Selbstreparatursysteme es
wieder hinbekämen, war zu bezweifeln, selbst wenn er monatelang
Zeit hätte, darauf zu warten. Vermutlich musste er dankbar sein,
dass ihn die Tochter am Leben erhalten hatte. So betrachtet,
hatte sie ihn nicht im Stich gelassen.
    Wieder wandte er sich den Anzeigen zu. Der automatische Notruf
hatte sich eingeschaltet. Die Reichweite war durch die Eiswände
zu beiden Seiten deutlich eingeschränkt, aber nach oben wurde
das Signal durch nichts behindert – außer natürlich
durch den Gasriesen, der ihn von Morwenna trennte. Wie lange noch,
bis sie von Haldoras Sonnenseite wieder auftauchte?
    Er sah auf das einzige noch funktionierende Chronometer. In vier
Stunden sollte die Dominatrix hinter Haldora hervorkommen.
    Vier Stunden. Das war nicht schlecht. So lange konnte er
durchhalten. Die Dominatrix würde den Notruf auffangen,
sobald sie Haldoras Schatten verließ, und könnte binnen
einer Stunde bei ihm sein. Normalerweise hätte er es nicht
riskiert, das Shuttle an einen potenziell gefährlichen Ort zu
rufen, aber er hatte keine Wahl. Außerdem bezweifelte er, dass
die Sprengfallen noch eine Gefahr darstellten: Zwei von drei
Wachposten hatte er zerstört, und dem dritten war offenbar die
Energie ausgegangen; sonst hätte er doch längst noch einmal
geschossen.
    Vier Stunden plus eine weitere, bis das Shuttle hier war. In
insgesamt fünf Stunden wäre er in Sicherheit. Lieber
wäre er zwar sofort aus dieser Lage befreit worden, aber er
hatte keinen Anlass, sich zu beklagen. Immerhin hatte er Morwenna
zugemutet, sechs Stunden ohne Kontakt zu ihm zu überstehen.
Warum hatte er eigentlich keine Relaissatelliten aussetzen wollen?
Jetzt musste er zugeben, dass es ihm dabei weniger um Morwennas
Sicherheit gegangen war als darum, keine Zeit zu verlieren. Geschah
ihm ganz recht. Am besten ertrug er es wie ein Mann.
    Fünf Stunden. Das war gar nichts. Eine
Kleinigkeit.
    Sein Blick streifte eine der anderen Anzeigen. Er blinzelte,
traute seinen Augen nicht, riss auch das linke weit auf. Aber er
hatte sich nicht geirrt.
    Der Rumpf hatte ein Leck. Es musste winzig sein: ein Haarriss.
Normalerweise wäre es abgedichtet worden, ohne dass er davon
erfahren hätte, aber das Schiff war so schwer beschädigt,
dass die normalen Reparatursysteme außer Funktion waren.
Langsam – so langsam, dass er noch gar nichts davon spürte
– entwich die Luft. Die Tochter gab sich alle Mühe,
die Bestände mit ihren Druckluftreserven konstant zu halten,
aber das war nur begrenzt möglich.
    Quaiche rechnete nach. Die Vorräte reichten noch zwei
Stunden.
    Er würde es nicht schaffen.
    Er überlegte ernsthaft, ob es einen Unterschied machte, wenn
er in Panik geriet. Es war ihm wichtig. Er saß nicht nur in
einem geschlossenen Raum mit einer begrenzten Menge Sauerstoff, die
er langsam verbrauchte und durch ausgeatmetes Kohlendioxid ersetzte.
Die Luft entwich auch noch durch einen Riss im Rumpf,

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