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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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knarrte das Schiff. Quaiche konnte den Boden nicht deutlich
erkennen. Die Fähre lag auf dem Dach – aber war sie
tatsächlich bis auf den Grund der Ginnungagap-Spalte
gestürzt?
    Er schaute zur Konsole, aber er sah sie nur verschwommen. Erst
jetzt fiel ihm auf, dass er alles nur verschwommen sah. Wenn er das
linke Auge schloss, wurde es etwas besser. Vielleicht hatte sich
durch die Beschleunigung eine Retina abgelöst, überlegte
er. Reparable Schäden dieser Art hätte die Tochter in Kauf genommen, um ihn lebend nach Hause zu bringen.
    Er ließ das linke Auge geschlossen und begutachtete die
Konsole nur mit dem rechten. Viele rote Anzeigen, die in lateinischer
Schrift Systemausfälle meldeten – aber auch viele Stellen,
die eigentlich leuchten sollten und dunkel blieben. Die Tochter hatte schwere Schäden zu verzeichnen: Nicht nur die
Mechanik, sondern auch der cybernetische Kern der Avionik war
betroffen. Das Schiff lag im Koma.
    Er versuchte zu sprechen. »Übernehme Kommando.
Neustart.«
    Nichts passierte. Die Stimmerkennung mochte unter den
ausgefallenen Funktionen sein. Oder die Fähre wollte gar nicht
mehr aufwachen.
    Um ganz sicherzugehen, unternahm er noch einen Versuch.
»Übernehme Kommando. Neustart.«
    Aber es geschah immer noch nichts. Ermittlungen in dieser
Richtung einstellen, dachte er.
    Er drehte den Arm hin und her, bis er mit der Hand eines der
taktilen Steuerungselemente zu fassen bekam. Er hatte Schmerzen, wenn
er sich bewegte, aber es war eher ein diffuses Pochen wie von einer
schweren Prellung als ein akutes Reißen wie bei einem
Knochenbruch oder einem ausgerenkten Gelenk. Er konnte sogar die Lage
seiner Beine verändern, ohne dass es allzu unangenehm wurde. Das
Stechen im Brustbereich wies auf Verletzungen der Rippen hin, aber er
konnte halbwegs normal atmen, und sonst waren Brust und Unterleib
beschwerdefrei. Wenn er mit ein paar angebrochenen Rippen und einer
Netzhautablösung davongekommen war, konnte er von Glück
reden.
    »Du warst schon immer ein verdammter Glückspilz«,
sagte er zu sich, während er die vielen Knöpfe und
Höcker der taktilen Steuerung abtastete. Für jeden
akustischen Befehl gab es eine manuelle Entsprechung; man musste nur
die richtigen Bewegungsfolgen kennen.
    Jetzt hatte er es. Die Finger hierhin, den Daumen dahin.
Drücken. Noch einmal drücken.
    Das Schiff hustete. Wo eben noch nichts gewesen war, flackerte
kurz eine rote Schrift auf.
    Jetzt tat sich etwas. Das alte Mädchen hatte doch noch Leben
in sich. Er versuchte es noch einmal. Die Räubertochter versuchte keuchend und summend einen Neustart. Wieder flackerten
rote Lichter auf, erloschen wieder.
    »Komm schon«, knirschte Quaiche.
    Der dritte Versuch. Ob die drei ihm Glück brachte? Das Schiff
prustete und schüttelte sich. Die rote Schrift leuchtete auf,
erlosch, kehrte zurück. Andere Teile des Displays
veränderten sich: Das Schiff erwachte aus dem Koma und
überprüfte seine Funktionen.
    »Brav«, lobte Quaiche, als das Schiffchen mühsam
seinen Rumpf wiederherstellte – wahrscheinlich keine bewusste
Umgestaltung, nur eine automatische Rückkehr zum vorgegebenen
Profil. Dabei schüttelte die Räubertochter mit hörbarem Prasseln Steine und Geröll ab und neigte sich
um mehrere Grad zur Seite, sodass auch Quaiches Blickfeld kippte.
    »Vorsichtig…«, warnte er.
    Zu spät. Sie hatte das Übergewicht bekommen und kippte
von dem Sims, auf dem sie zunächst gelandet war. Für einen
Moment sah Quaiche den Talgrund noch gut hundert Meter unter sich,
dann kam er ihm rasend schnell entgegen.
     
    Subjektiv dauerte der Sturz eine Ewigkeit.
    Dann kam der Aufprall, eine ganze Serie von Schlägen. Es war,
als hätte ihn ein riesiges Tier im Maul und schmettere ihn immer
wieder gegen den Boden, um ihn zu zerbrechen oder zu töten. Aber
das Bewusstsein verlor er diesmal nicht.
    Er stöhnte. Diesmal kam er wahrscheinlich nicht mehr so
glimpflich davon. Auf seiner Brust lastete ein Druck, als hätte
jemand einen Amboss darauf abgestellt. Vermutlich waren die Rippen
nun vollends gebrochen. Wenn er sich bewegen musste, würde das
höllisch wehtun. Aber noch war er am Leben. Und diesmal stand
die Räubertochter aufrecht. Die Brücke
präsentierte sich wie ein Bild in einer Fremdenverkehrswerbung.
Es war, als wollte das Schicksal Salz in seine Wunden reiben, indem
es ihn daran erinnerte, weshalb er überhaupt in diesen
Schlamassel geraten war.
    Die meisten roten Anzeigen auf der Konsole waren wieder erloschen.
Sein

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