Offenbarung
Gottes und erkannte zugleich mit unerbittlicher
Klarheit, dass es sich dabei nur um eine neuroanatomische Reaktion
handelte. Die Orgelmusik, die Kirchenfenster am Himmel, das
Gefühl der Nähe zu einem allumfassenden, zeitlosen Wesen
von unerschöpflichem Mitgefühl – das alles war nicht
real, sondern durch neuronale Verbindungen, Aktionspotenziale und
synaptische Lücken zu erklären.
In höchster Not, gerade als er ihren Trost am dringendsten
gebraucht hätte, ließ ihn die Religion im Stich. Er war
nur ein gottloser Mensch mit einem verpfuschten Virus im Blut, ein
Mensch, dem Luft und Zeit unter den Fingern zerrannen, auf einer Welt
mit einem Namen, den er ihr gegeben hatte und der nun bald wieder
vergessen sein würde.
»Verzeih mir, Mor«, sagte er. »Ich hab’s
vermasselt. Verdammt, ich hab’s gründlich
vermasselt.«
Er sah sie in Gedanken vor sich, so fern, so unerreichbar…
Und da fiel ihm der Glasbläser wieder ein.
Er hatte lange nicht mehr an den Mann gedacht, aber er hatte sich
auch lange nicht mehr so einsam gefühlt. Wie hieß er doch
noch? Richtig, Trollhattan. Quaiche hatte ihn auf Pygmalion kennen
gelernt, einem der Monde von Parsifal im System Tau Ceti, in einem
der dortigen Einkaufszentren mit Mikroschwerkraft.
Es war bei einer Glasbläservorführung gewesen.
Trollhattan, ein Handwerker, der bei Schwerelosigkeit arbeitete, war
ein ehemaliger Raumpirat. Seine Gliedmaßen waren einsteckbare
Prothesen, und seine Haut sah aus wie gegerbtes Elefantenleder mit
tiefen Löchern, wo durch Strahlungseinwirkung entstandene
Melanome unsachgemäß entfernt worden waren. Trollhattan
hatte fantastische Glasgebilde gefertigt: spinnwebfeine,
raumfüllende Kunstwerke, die manchmal selbst für die
geringe Schwerkraft eines großen Mondes zu zart waren. Keines
glich dem anderen. Da gab es dreidimensionale Modelle des
Sonnensystems, so dünn, dass einem vom Hinsehen die Augen
wehtaten. Tausende von Glasvögeln, durch winzige Punkte an den
Flügelspitzen verbunden. Schwärme von Fischen, jeder
Einzelne in schwachen Gelb- und Blautönen schillernd, mit
rosarot geränderten Flossen, die herzzerreißend schön
im Licht funkelten. Heerscharen von Engeln, Flotten von Galeeren aus
der Zeit der großen Kampfsegler oder fantasievolle
Rekonstruktionen gewaltiger Raumschlachten. Manche der
Schöpfungen wagte man kaum anzusehen, um nicht allein durch die
Beobachtung das Spiel von Licht und Schatten zu beeinflussen und
womöglich einen unsichtbaren Riss so zu vergrößern,
dass das ganze Gebilde auseinander fiel. Einmal war ein
Trollhattan-Kunstwerk, als man es öffentlich enthüllte,
tatsächlich zu Scherben zersprungen, die nicht größer
waren als ein Käfer. Und niemand hatte je erfahren, ob das
womöglich gar beabsichtigt gewesen war.
Wie jedermann wusste, war der Besitz eines Trollhattan-Werks ein
teures Vergnügen. Schon der Kaufpreis war nicht gerade niedrig,
aber die Beförderungskosten waren einfach aberwitzig. Allein der
Transport von Pygmalion zu einem Ziel im Tau Ceti-System konnte einen
kleineren Demarchistenstaat in den Bankrott stürzen. Mit
intelligentem Verpackungsmaterial ließen sich die Stücke
so weit abpolstern, dass sie mäßige Beschleunigungen
aushielten, aber jeder Versuch, einen echten Trollhattan in ein
anderes Sonnensystem zu bringen, hatte bisher noch in einem Haufen
Glasscherben geendet. So befanden sich alle noch heilen Werke nach
wie vor im Tau-Ceti-System. Ganze Familien waren nach Parsifal
gezogen, nur um sich einen eigenen Trollhattan kaufen und ihn zur
Schau stellen zu können.
Es gab Geschichten von einer automatischen Raumbarke, die mit
hunderten von den Dingern an Bord bei wenigen Prozent
Lichtgeschwindigkeit durch den interstellaren Raum krieche (zu
welchem System, hing jeweils vom Erzähler ab). Die Lieferung sei
Jahrzehnte zuvor in Auftrag gegeben worden. Und wer raffiniert genug
wäre, diese Raumbarke abzufangen und auszuplündern –
ohne die Kunstwerke zu zerbrechen –, könnte damit geradezu
unanständig reich werden. In einer Zeit, in der man praktisch
alles zu lächerlich geringen Kosten herstellen konnte, sofern es
einen Bauplan dafür gab, gehörten handgefertigte Kunstwerke
mit wasserdichtem Stammbaum zu den wenigen noch verbliebenen
»Wertgegenständen«.
Quaiche wäre während seines Aufenthalts auf Parsifal
gern in den Trollhattan-Markt eingestiegen. Er hatte sogar schon
einen Handwerker gefunden, der behauptete, mit Miniatur-Servomaten
aus einem riesigen
Weitere Kostenlose Bücher