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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Glasblock hochwertige Fälschungen herstellen
zu können. Quaiche hatte die Probestücke gesehen: Sie waren
gut, aber nicht gut genug. Ein echter Trollhattan besaß
prismatische Eigenschaften, an die im ganzen Universum nichts
heranreichte. Es war wie der Unterschied zwischen Eis und Diamant.
Doch letztlich war das Geschäft am Stammbaum gescheitert. Wenn
sich nicht jemand fand, der Trollhattan um die Ecke brachte, bestand
keine Aussicht, dass der Markt die Fälschungen schluckte.
    Als Quaiche die Vorführung sah, hatte er sich schon seit
einiger Zeit wie eine Klette an Trollhattan gehängt, um etwas zu
finden, womit man den Glasbläser unter Druck setzen und zu
Verhandlungen bewegen könnte. Wenn Trollhattan sich bereit
fände, ein Auge zuzudrücken, sobald die Fälschungen
auf den Markt kämen – er bräuchte nur zu sagen, er
wüsste zwar nicht, ob sie von ihm stammten, aber auch nicht,
dass sie nicht von ihm stammten –, könnte aus der
Sache doch noch etwas werden.
    Aber er war an Trollhattan nicht herangekommen. Der Mann redete
kein Wort, und er verkehrte nicht in den üblichen
Künstlerkreisen.
    Er blies nur Glas.
    Quaiche war enttäuscht gewesen, doch obwohl seine
Begeisterung bereits abkühlte, war er geblieben, um sich einen
Teil der Vorführung anzusehen. Und als er begriff, worum es hier
tatsächlich ging, war sein nüchternes, rein kommerzielles
Interesse an Trollhattans Kunst rasch in tiefe Ehrfurcht
umgeschlagen.
    Trollhattan hatte keine seiner raumfüllenden Kreationen
geschaffen, sondern nur ein kleineres Werk. Als Quaiche eintraf,
schwebte bereits eine Pflanze frei im Raum, wundervoll geformt, mit
durchsichtigem Stängel, grünen Blättern und vielen
hellroten hornförmigen Blüten. Neben einer der Blüten
entstand soeben ein hauchfeines flimmerndes blaues Ding. Quaiche
begriff nicht sofort, was es war, doch dann zog Trollhattan einen
geschwungenen Schnabel zur Blüte hin, und Quaiche erkannte den
Kolibri. Der bernsteingelbe Bogen lief eine Fingerbreite vor der
Blüte in einer Spitze aus, und Quaiche dachte schon, damit
wäre das Werk vollendet. Vogel und Pflanze schwebten unverbunden
nebeneinander. Doch dann fiel das Licht in einem etwas anderen Winkel
darauf, und zwischen der Schnabelspitze und der Narbe der Blüte
erglänzte ein hauchfeiner Faden aus gesponnenem Glas, ein
Goldfäserchen wie der letzte Streifen Tageslicht bei einem
planetaren Sonnenuntergang. Es war, in Glas geblasen, die Zunge des
Kolibris.
    Der Wechsel im Licht war wohl kein Zufall gewesen, denn alle
Zuschauer entdeckten die Zunge im gleichen Augenblick. Trollhattans
Gesicht zeigte selbst in den Partien, die theoretisch noch
Gefühle hätten spiegeln können, nicht die leiseste
Regung.
    In diesem Moment hatte Quaiche den Glasbläser gehasst. Er
verurteilte die Eitelkeit des Genies und hielt diese demonstrative
Ungerührtheit für ebenso verächtlich wie offen zur
Schau getragenen Stolz. Doch zugleich war er voller Bewunderung
für das Werk, dessen Entstehung er soeben miterlebt hatte.
Wäre es nicht erstrebenswert, dachte er, ein wenig von dieser
Magie ins Alltagsleben zu übertragen? Trollhattans Zuschauer
lebten in einer Zeit voller Wunder. Dennoch war der kurze Blick auf
die Zunge des Kolibris für sie alle sicherlich die seit langem
größte Überraschung, das faszinierendste Erlebnis
gewesen.
    Auf jeden Fall galt das für Quaiche. Er hätte niemals
erwartet, dass ein Glasfaden ihn im Innersten seiner Seele
berühren könnte.
    Jetzt fiel ihm die Kolibrizunge wieder ein. Immer wenn er Morwenna
verlassen musste, hatte er sich seither vorgestellt, er wäre
durch einen dehnbaren Faden aus geschmolzenem Glas, golden
getönt und ausgezogen, bis er so dünn war wie die Zunge des
Kolibris, mit ihr verbunden. Wenn die Entfernung größer
wurde, so wurde die Zunge im gleichen Maße länger und
zerbrechlicher. Aber solange er dieses Bild festhalten, solange er
sich einreden konnte, mit ihr verbunden zu sein, war er nicht
völlig verlassen. Durch das Glas konnte er sie noch spüren,
ihre Atemzüge brachten den Faden zum Erzittern.
    Doch jetzt erschien ihm der Faden so dünn und schwach wie
noch nie, und er nahm ihren Atem nicht mehr wahr.
    Er sah auf das Chronometer: Eine weitere halbe Stunde war
vergangen. Nach optimistischer Schätzung reichte die Luft noch
für dreißig bis vierzig Minuten. Sie kam ihm bereits jetzt
dünner und verbrauchter vor, aber vielleicht bildete er sich das
nur ein?

 
Hela

2727
     
     
    Rachmika entdeckte

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