Offenbarung
griff in den Koffer und zog eine leere Spritze heraus.
»In welchem Verhältnis stand sie zu Crozet? Keine
schmutzigen Geschichten?«
»Soviel ich weiß, war sie nur sein Fahrgast.«
»Sie haben die Vermisstenmeldung gehört? Ein junges
Mädchen aus dem Ödland von Vigrid, das seinen Eltern
weggelaufen war. Die dortige Gendarmerie hält sie für einen
Saboteur.«
»Damit war sie gemeint? Da habe ich leider versäumt,
zwei und zwei zusammenzuzählen.«
»Und das war ein Glück.« Grelier hielt die Spritze
gegen das Licht, der Glaskolben verzerrte sein Gesicht. »Sonst
hätten Sie sie womöglich prompt
zurückgeschickt.«
»Und das wäre nicht in Ihrem Sinne gewesen?«
»Wir ziehen es vor, wenn sie zunächst bei der Karawane
bleibt. Wir sind nämlich an ihr interessiert. Geben Sie mir
Ihren Arm.«
Der Quästor rollte seinen Ärmel hoch und beugte sich
über den Tisch. Peppermint hörte auf, sich zu putzen, und
sah neugierig zu. Der Quästor konnte sich nicht weigern. Der
Befehl war so ruhig ausgesprochen worden, dass er einfach gehorchen
musste. Die Spritze war leer: Grelier wollte ihm also kein Blut
injizieren, sondern nur welches abnehmen.
Der Quästor zwang sich zur Ruhe. »Warum soll sie bei der
Karawane bleiben?«
»Damit sie auch wirklich dort landet, wo wir sie haben
wollen.« Grelier schob die Nadel in die Vene. »Irgendwelche
Klagen von Ihren Einkäufern, Quästor?«
»Klagen?«
Ȇber Crozet. Dass er mit seinem Flitzerkram mehr
herausholt als üblich?«
»Nicht mehr als sonst.«
»Diesmal könnte etwas dran sein. Er hatte das
Mädchen zu den Verhandlungen mitgenommen, nicht wahr?«
Der Quästor begriff, dass der Besucher nur Fragen stellte,
auf die er die Antworten bereits kannte. Er sah zu, wie sein Blut in
die Spritze floss. »Sie war einfach neugierig«, sagte er.
»Sie sagt, sie interessiert sich für Flitzerfunde.
Hält sich offenbar für eine Wissenschaftlerin. Ich dachte
mir nichts dabei. Es war Crozets Idee, sie dabeisitzen zu lassen,
nicht die meine.«
»Das kann ich mir denken. Das Mädchen hat eine besondere
Fähigkeit, Quästor, eine Gottesgabe: Sie entdeckt jede
Lüge. Sie erkennt die Mikroveränderungen im menschlichen
Gesicht. Den meisten von uns fallen diese unterschwelligen Signale
kaum auf. Für sie sind sie so grell wie riesige
Neonschilder.«
»Ich verstehe nicht…«
Grelier zog die Spritze heraus. »Das Mädchen hat Ihre
Einkäufer beobachtet, um zu sehen, ob sie aufrichtig waren, wenn
sie behaupteten, ihr Limit erreicht zu haben. Und dann hat sie Crozet
heimlich Zeichen gegeben.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe sie erwartet. Ich habe auf die Hinweise geachtet.
Sie führten mich hierher, zu Ihrer Karawane.«
»Aber sie ist doch nur ein junges Mädchen.«
»Auch Johanna von Orléans war nur ein junges
Mädchen.
Und was hat sie für ein Blutbad hinterlassen?« Er klebte
dem Quästor ein Pflaster auf den Arm und steckte die Spritze in
ein besonderes Fach an der Seite des Koffers. Ein Mechanismus
drückte den Kolben nach unten, das Blut floss ab. Im Koffer
begann es zu summen und zu tuckern.
»Wenn Sie mit ihr sprechen wollen…«, begann der
Quästor.
»Nein, ich möchte nicht mit ihr sprechen. Jedenfalls
noch nicht. Ich möchte, dass Sie gut auf sie aufpassen, bis Sie
den Weg erreichen. Sie darf nicht mit Crozet
zurückfahren. Sorgen Sie dafür, dass sie bei der Karawane
bleibt.«
Der Quästor rollte den Ärmel wieder herunter. »Ich
werde mein Möglichstes tun.«
»Sie werden noch mehr tun.« Ohne den Koffer abzustellen,
beugte Grelier sich vor und hielt Peppermint mit einem seiner
Vakuumhandschuhe fest. Mit der anderen Hand packte er eines seiner
Vorderbeine und riss es ab. Das Tierchen stieß einen schrillen
Pfiff aus und zappelte wild.
»Oh«, sagte Grelier. »Was habe ich denn jetzt
angestellt?«
»Nein.« Der Quästor war wie gelähmt.
Grelier setzte das arme Tier wieder auf den Tisch zurück und
ließ das abgetrennte Ärmchen zu Boden fallen. »Nur
eine Gliedmaße. Da wo der Kleine herkommt, gibt es genug
davon.«
Peppermint zuckte krampfhaft mit dem Schwanz.
»Kommen wir zu den Einzelheiten«, sagte Grelier und zog
ein Metallröhrchen aus einer Tasche seines Druckanzugs. Der
Quästor zuckte zusammen, ohne seinen misshandelten Liebling aus
den Augen zu lassen. Grelier schob das Röhrchen über den
Tisch. »Das Mädchen ist ein Problem«, sagte er.
»Sie könnte dem Dekan sehr nützlich sein, sie
weiß es nur noch nicht.«
Der Quästor hatte
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