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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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beruhen die meisten Werke darauf, dieses Nicht-Verstehen eingehend zu beschreiben, woraus wir unseren masochistisch-befriedigenden Lesegenuss ziehen. Hach! Schon Desdemona, Gretchen, Anna Karenina und Madame Bovary ging es nicht anders als uns, wir befinden uns in illustrer Gesellschaft und fühlen uns getröstet.
    Leider trifft man im wirklichen Leben selten einen dieser sensiblen, einfühlsamen Schriftsteller, die uns Frauen offenbar verstehen und unser Leid so trefflich schildern können. Beim Lesen zu Hause auf dem Sofa stellt man sich einen jungen, gelockten Schöngeist vor, beim Besuch seiner Lesung in der Buchhandlung begegnet man dann einem schmerbäuchigen Trinker oder brillentragenden Autisten, von dem man sich gar nicht verstanden fühlen WILL.
    Auch auf der freien Wildbahn klaffen unsere vermeintlichen und tatsächlichen Erwartungen auseinander: Wer hat jemals nach einer Party einen freundlichen, sanften Frauenversteher mit nach Hause genommen und den Rest der Nacht Gedichte mit ihm gelesen? Na, bitte. Wir träumen von dem Mann, der uns versteht, aber wenn’s einer tut, finden wir es doch ziemlich langweilig. Das ist fast so, als wären wir unter unseresgleichen, und da könnten wir ja gleich unter Frauen bleiben.
    Mit der Treue ist es das Gleiche: Natürlich wollen wir einen Mann, der uns treu ist, wer wird schließlich gerne betrogen. Aber wenn wir nur den geringsten Verdacht haben, der Kerl bliebe nur deshalb bei uns, weil keine andere ihn will, verzichten wir dankend. Dann lieber in Ehren betrogen werden, am liebsten mit einer Frau, für die wir uns nicht schämen müssen!
    Tja, was wollen wir Frauen denn nun wirklich? Ganz einfach: alles, und das sofort.
    Wir wollen den verwegenen, leidenschaftlichen Abenteurer, der unsere Knie zittern und Flugzeuge in unserem Bauch herumsurren lässt, der aus unserem Leben einen aufregenden Kinofilm macht, in dem die Spannung keinen Augenblick nachlässt. Wir wollen den liebevollen Vater, der bei der Geburt seiner Kinder unsere Hand hält und Freudentränen über das Neugeborene vergießt, der Windeln wechselt, Fläschchen kocht und Elternabende besucht. Wir wollen den einfühlsamen Partner, der unsere Melancholie nicht abfällig als prämenstruelles Syndrom abtut, sondern uns davon überzeugt, dass wir trotz der zwei neuen Fältchen ums Auge und der Cellulite-Dellen am Schenkel die wunderbarste und begehrenswerteste Frau sind, die je diesen Planeten bewohnt hat. Und dann wollen wir noch den guten Freund, dem wir abends eine Gurkenmaske und einen alten Hollywoodfilm zumuten und morgens ungestraft die Zeitung weglesen können.
    Eigentlich ganz einfach, oder?
    Die einzige, kleine Schwierigkeit scheint darin zu liegen, dass die Evolution noch kein männliches Wesen hervorgebracht hat, dass alle diese Eigenschaften in sich vereint. Die Abenteurer sind keine guten Väter, die guten Väter keine überzeugenden Liebhaber, die überzeugenden Liebhaber keine guten Freunde, die guten Freunde keine einfühlsamen Partner und so fort. Sieht so aus, als müssten wir Frauen uns für einen Typ entscheiden – und fortan darüber jammern, was er alles NICHT draufhat.

Weniger ist mehr?
    »Simplify your life!«, tönt es uns entgegen. »Wirf Ballast weg, entmülle dein Leben, denn weniger ist mehr.« Wer könnte dagegen etwas einzuwenden haben, schließlich besitzen die meisten von uns einen voll gestopften Kleiderschrank, ein überquellendes Kellerabteil und eine Menge überflüssigen Mist, von dem wir nicht einen Bruchteil wirklich brauchen. Ein normaler Haushalt bestand vor hundert Jahren noch aus ungefähr dreihundert Gegenständen, heute sind es zehntausend, und zumindest was meinen Haushalt betrifft, scheinen es täglich mehr zu werden. Dabei kämpfe ich schon seit Jahren gegen die Flut an, aber vergeblich. In mir gibt es zwei widerstreitende Impulse, die gleichwohl nebeneinander existieren: die Wiederverwerterin und die Anschafferin. Beide gemeinsam machen alle Bemühungen zunichte, meine Besitztümer zu minimieren.
    Kaum habe ich beschlossen, etwas auszumisten, weil es alt, abgetragen, hässlich oder unmodern ist, meldet sich die Wiederverwerterin und schlägt vor, etwas daraus zu machen, zum Beispiel aus der zu kurzen Jeanshose meiner Tochter Shorts für den Sommer. Die Hose wandert also wieder in den Schrank, gleichzeitig besteht die Anschafferin darauf, eine neue zu kaufen, weil meine Tochter die alte ja nicht mehr tragen kann. Und nun kommt der Haken: Aus der zu kurzen

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