Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
Entzückens mehr über den Rücken. Reichst du mir mal mein Bier rüber? Danke. Keine Ursache.
Wir sehen uns den Mann, der da auf dem gemeinsam angeschafften Sofa sitzt, genau an. Was ist bloß aus dem schmalhüftigen Adonis mit dem kantigen Gesicht geworden?
Ein grauer Durchschnittsmann, dessen Bauch bei unserer ersten Schwangerschaft bis zum siebten Monat mitwuchs und dann so blieb. Schlecht geschnittene Haare (weil er aus Sparsamkeit immer ins Lädchen an der Ecke geht, statt zu einem anständigen Friseur). Langweilige, hellblaue Hemden, ausgeleierte Socken, die immer gleichen, schwarzen Spießer-Halbschuhe. Was, verdammt, haben wir mal an dem Kerl gefunden?
Unsere Gedanken wandern. Zu Micha, unserer ersten, großen Liebe. Wie der wohl heute aussieht? Immer noch ein Adonis oder auch ein Schlabbersocken-Papi? Oder zu Uli, unserer zweiten, großen Liebe. Der nie Kinder wollte und heute alleinerziehender Vater von zwei Jungen ist. Oder zu dem smarten Bankierssohn, der uns eine Weile den Hof gemacht hat. Von dem wären wir vielleicht schon reich geschieden. So viele Männer, so viele Wege. Und wir sitzen da mit dem Mann, den wir unbedingt wollten!
Also, Männer, strengt euch an, verdammt noch mal. Für den Einkauf und die Getränkekiste brauchen wir euch nicht (obwohl ein bisschen Hilfe nett wäre), auch die Schulbrote schmieren wir zur Not selbst. Aber unsere Träume sind leer ohne euch. Gebt uns eine Chance, wieder von euch, unseren Männern, zu träumen! Sonst träumen wir bald von anderen.
Und noch was: Kauft euch endlich mal ein paar anständige Socken!
Eine verflossene Liebe
Ich weiß noch genau, wie es begann: Ich war acht Jahre alt und fuhr mit meinen Eltern und Geschwistern im Nachtzug in die Ferien. Irgendwann wurde ich wach und sah aus dem Fenster des Schlafwagenabteils. Genau in diesem Moment brauste der Zug durch einen Zitronenhain. Zitronenbäume! Die gab es wirklich? Und die wuchsen in Italien?
Ich war hingerissen. Da begann sie, meine leidenschaftliche Liebe zu diesem Land, das alles hatte, was zu Hause zu fehlen schien: Sonne, Wärme, Lebensfreude, gutes Essen, fröhliche Einwohner – und Zitronenbäume! (Erst viel später erfuhr ich, dass ich mich in guter Gesellschaft mit Herrn von Goethe befand, der ebenfalls die blühenden Zitronen an Italien besonders schätzte.)
Ich wurde größer, meine Liebe zu Italien ebenso. Fast alle Semesterferien verbrachte ich dort, fasziniert von der Landschaft, der Kultur, den Menschen. Natürlich verliebte ich mich in einen jungen Italiener, dann in einen anderen, und ihnen zuliebe lernte ich sogar Italienisch.
Am Ende hatte ich fast ein Jahr im Land meiner Sehnsüchte und Träume verlebt, und wann immer es ging, kehrte ich auch später nach Italien zurück.
Alles dort war besser als anderswo, ein mythischer Ort, alles war Leben, Liebe, Leichtigkeit, attraktive, stilsicher gekleidete Menschen, die gerne feierten und – was ich damals ungemein sympathisch fand – nicht viel von staatlicher Autorität hielten. Sie hielten sich ja nicht mal an die Verkehrsregeln.
Was aber sollen wir heute halten von einem Land, dessen Bewohner gleich zweimal einen Mann wie Berlusconi zum Regierungschef wählen, der in dubiose Geschäfte verstrickt ist, sich Gesetze nach Bedarf zurechtschneidert, die Medien missbraucht und Kritiker, die auf all dies hinweisen, als Nazis beschimpft? Ganz zu schweigen von jenem Tourismus-Staatssekretär, Gott hab ihn selig, der befand, die Deutschen seien »einförmige, supernationalistische Blonde, die lärmend über Italiens Strände herfallen, besoffen vor arroganter Selbstsicherheit«.
Ich würde diesem Herrn Stefani gerne mal die spanische Insel zeigen, auf der ich mit meiner Familie immer Urlaub mache. Da müllen seine Landsleute die Strände voll, stellen ihre Angeber-Autos quer über drei Parkplätze, brüllen von morgens bis abends in ihre Handys, verwandeln die ansonsten ruhige Insel mit ihren knatternden, hupenden Vespas in ein Inferno und benehmen sich überhaupt so, dass man als Deutscher Sehnsucht nach der Zeit bekommt, als man sich noch für die eigenen Landsleute schämen konnte. Die sind mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen; ich bin dankbar für jeden Sandalen-beschuhten, germanischen Umweltschützer, der schweigend über die Insel wandert und Plastikflaschen einsammelt, die Italiener weggeworfen haben.
Irgendwas ist mit den Menschen aus meinem Lieblingsland passiert: Die jungen italienischen Frauen sehen alle aus wie
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