Offene Rechnungen

ausgesucht und geschenkt hatte. Eine Geste oder nur Bequemlichkeit? Was sie Clemens hoch anrechnete, war sein Verhalten ihr gegenüber. Er duzte Esther weiter und behandelte sie meistens mit Achtung, was ihr gut tat. Während Frank die neueste Entwicklung vortrug, reichte Gerd Pietschmann den Bericht der KTU rein. Esther nahm ihn entgegen und dankte ihrem Kollegen mit einem Nicken. Sie schlug die Mappe auf und überflog die Zeilen. Schließlich blieb ihr Blick an drei Sätzen hängen, die sich wie Säure in ihr Gehirn fraßen.
»Esther? Was ist denn?«
Clemens Wolter musste sie mehrfach angesprochen haben, doch ihre Aufmerksamkeit erlangte der Staatsanwalt erst durch die Berührung ihrer Schulter. Erschrocken fuhr sie hoch, sah ihn und dann Frank Reuter an.
»Das ist der Bericht der KTU. Es gibt Lackspuren am Mercedes, die nur vom anderen Wagen stammen können. Die Lackspuren passen zu einem Sondermodell von VW, das für die Fußballweltmeisterschaft aufgelegt wurde. Im Kreis Rendsburg-Eckernförde sind nur sechs solcher Golfs zugelassen«, fasste Esther das Ergebnis der Untersuchung zusammen.
In Clemens Augen glomm Verstehen auf, während der Kieler Hauptkommissar sie nur fragend ansah.
»Ralph Wiese fährt so einen Golf, das heißt jetzt fährt Ariane den Wagen«, ergänzte Esther mit gepresster Stimme.
Sie hatte das Gefühl unter Wasser gedrückt zu werden und langsam das Bewusstsein zu verlieren. Mit diesen neuen Erkenntnissen konnten kaum noch Zweifel an Arianes Schuld bestehen bleiben.
Frank Reuter schüttelte fassungslos den Kopf. Bei allen Vorbehalten gegenüber der zierlichen Frau des ermordeten Kollegen, erstaunte ihn die Wendung. Sie hatte offensichtlich den Kopf verloren, wenn sie ernsthaft glauben mochte, mit so einem dreisten Anschlag ungestraft davonzukommen.
»Das kann doch wohl kaum wahr sein. Ich halte Frau Wiese immer noch für sehr tatverdächtig, wobei mir dieser zweite Mord bisher Rätsel aufgibt. Sollte ich jedoch recht haben, kann ich kaum glauben, dass sie für so einen Anschlag den eigenen Wagen nehmen würde.«
Esthers Gedanken waren ein ganzes Stück weiter und fast schämte sie sich, wie sie jetzt ihre Freundin ans Messer liefern musste. Doch ihr kriminalistisches Gespür befahl ihr geradezu, ihre Vermutung dem Kollegen mitzuteilen.
»Wir haben von den Männern der Pokerrunde gehört, dass sich ein Mann am elften April etwa zur Tatzeit im Erdgeschoss des Zentrums aufgehalten haben soll. Tobias Landau hat es bei der Befragung eingeräumt und könnte somit ein Augenzeuge der Tat geworden sein. Erinnern Sie sich an den Streit von Fähls und Voigt?«
Frank Reuters Augenbrauen zuckten anerkennend in die Höhe und Clemens Wolter sah ihr mitfühlend ins Gesicht. Beide Männer erinnerten sich an die Befragung, die Esther noch allein vorgenommen hatte. Fähls, Voigt und Vollquardt waren gemeinsame Inhaber einer Medienagentur, deren Büroräume sich im zweiten Stockwerk des Zentrums befanden. Regelmäßig veranstalteten die drei Männer harmlose Pokerrunden, so auch am Abend des elften Aprils. Während eines Toilettenganges kriegten sich Fähls und Voigt in die Wolle, stritten sich auf dem Gang. Dabei beobachteten beide einen Mann, der durchs Foyer ging. Die Beschreibung sowie die späteren Befragungen ergaben, dass es sich bei diesem Mann um Tobias Landau gehandelt hatte. Vielleicht hatte er dabei Ariane gesehen, wie sie ihren Mann über das Geländer stieß.
»Dann möchte ich jetzt einen Durchsuchungsbeschluss für das gesamte Anwesen der Familie Wiese im Rotenhöfer Weg beantragen«, wandte der Hauptkommissar sich an den Staatsanwalt.
»Kommen Sie in einer halben Stunde in mein Dienstzimmer, dann händige ich Ihnen den Beschluss aus.«
Damit war die Besprechung beendet und Esther saß wie betäubt auf ihrem Stuhl. Nur am Rande nahm sie wahr, wie Reuter ihren Kollegen Pietschmann anrief und zu sich bat. Als Gerd eintraf und ihr einen fragenden Blick zuwarf, deutete Esther zu Reuter.
»Lassen Sie sich bitte die Liste mit den sechs Golf Sondermodellen der Weltmeisterschaft aus dem Kreis geben und prüfen Sie die Fahrzeuge auf mögliche Unfallschäden. Vor allem der vordere Bereich müsste solche Schäden aufweisen. Falls Sie den Eindruck haben, dass eines der Fahrzeuge frische Reparaturanzeichen aufweist, prüfen Sie es bitte ebenfalls.«
Kommissar Pietschmann nickte bestätigend und verschwand aus dem Büro. Einen Moment blieben Esther und Frank Reuter schweigend sitzen, sahen sich nur an.
»Ich