Offene Rechnungen
wünsche mir fast, dass wir bei Frau Wiese keinen beschädigten Wagen finden. Mein Gefühl sagt mir leider etwas anderes.«
Der Hauptkommissar zuckte entschuldigend mit den Achseln. Er akzeptierte Esthers professionelle Haltung und dennoch glaubte er nicht an Wunder. Alle Indizien sprachen eindeutig gegen Ariane Wiese.
»Warum nur? Wo liegt das Motiv bei Ariane?«
Esther sah ihren Kollegen voller Verzweiflung an, da sie sein schlechtes Gefühl in Bezug auf den Golf teilte. Statt ihre Fragen zu beantworten, mahnte Reuter zum Aufbruch. Voller ängstlicher Vorahnung fuhr sie mit ihrem Kollegen sowie einem Streifenwagen in den Rotenhöfer Weg. Als Frank den Passat auf der Auffahrt vor der geschlossenen Garage abstellte, kämpfte Esther mit aufkommender Übelkeit. Mit wackligen Beinen stieg sie aus und folgte dem Hauptkommissar zur Haustür. Schon nach dem zweiten Läuten öffnete Ariane die Tür und sah die beiden Beamten an. Als sie den Gesichtsausdruck von Esther wahrnahm, überzog wächserne Bleiche ihr Gesicht.
»Was ist passiert?«, hauchte sie erschrocken.
Ariane taumelte seit Wochen nur noch durchs Leben. Zu viele Schläge hatte sie einstecken müssen, und nicht einmal der Tod von Ralph schien der Höhepunkt in der bösartigen Abwärtsspirale zu sein. Das erneute Auftauchen der beiden Kollegen ihres toten Mannes und besonders der verschlossene Gesichtsausdruck von Esther Helmholtz, die Ariane als eine Freundin ansah, ließen ihren Puls vor Schreck hinaufschnellen.
»Moin, Frau Wiese. Dürfen wir?«
Der Hauptkommissar übernahm das Kommando und schob Ariane mit sanftem Nachdruck ins Haus. Sie ließ ihn gewähren und ging voraus ins Wohnzimmer, wo sie sich umdrehte und mit geweiteten Pupillen zu Esther sah.
»Sag es mir bitte, Esther. Was ist los?«
Ariane wollte keine schlechten Nachrichten mehr hören, verlor zunehmend den Boden unter ihren Füßen.
»Heute in der Nacht wurde Tobias Landau mit seinem Wagen von der Landstraße nach Sehestedt abgedrängt. Es war ein Anschlag und die gefundenen Spuren am Unfallort lassen uns leider keine andere Wahl.«
Frank Reuter zog den Durchsuchungsbeschluss aus der Jacke und reichte ihn an Ariane Wiese. Mit zitternden Händen nahm die Witwe das Dokument entgegen und las es mit steigender Fassungslosigkeit durch. Er verfolgte das Wechselspiel ihrer Mimik, versuchte daraus auf ein mögliches Schuldeingeständnis zu schließen. In rasanter Folge änderte sich das nach außen gezeigte Verhalten, wechselte von purer Angst zu hoffnungsvollem Flehen.
»Aber, wieso nur?«
Ariane starrte den dunkelhaarigen Hauptkommissar an, suchte nach Anzeichen für Hoffnung in dessen grünen Augen.
»Ist die Garage verschlossen, Frau Wiese?«
Auf Franks Frage schüttelte Ariane mit verwirrtem Ausdruck den Kopf. Er machte Esther Zeichen und ging voraus, während einer der uniformierten Polizisten bei Ariane bleiben wollte. Doch die Frau des ermordeten Kollegen riss sich auf einmal zusammen und ging mit hinaus zum Garagentor. Frank bückte sich und öffnete das unverschlossene Schwingtor, wodurch das Nachmittagslicht auf die unversehrte Motorhaube des goldfarbenen Golfs fiel. Frank schob sich an der Fahrerseite des Wagens vorbei, bis er einen Blick auf die Heckpartie des Wagens werfen konnte. Esther war gleichzeitig an der Beifahrerseite zum Kofferraum gegangen und starrte ungläubig auf die schweren Schäden am hinteren Kotflügel und der Hintertür. Mühsam löste sie den Blick von den Schäden und sah zu Ariane. Bei ihrem Blick taumelte Ariane zurück, schüttelte ständig den Kopf und sackte urplötzlich einfach in sich zusammen. Zum Glück reagierte der eine Streifenpolizist blitzschnell und fing Ariane auf, bevor sie auf das Pflaster der Auffahrt aufschlug.
*
»Hallo, Mama. Hast du Hunger auf einen frischen Salat?«
Auf dem Heimweg hatte Esther beim Edeka-Markt angehalten und einige Dinge eingekauft. Auch wenn es sicherlich das falsche Zeichen war, wollte Esther um bessere Laune bei ihrer Mutter kämpfen. Sie sollte vermutlich den Launen ihrer Mutter nicht so stark nachgeben, doch Esther kämpfte um mehr Harmonie in ihrem Verhältnis. Einen ganzen Abend, der überwiegend von vorwurfsvollem Schweigen gefüllt wurde, würde sie nur schwer ertragen, besonders nach dem unglaublichen Ablauf bei Ariane Wiese. Eine Weile hatte Esther überlegt, ob sie sich mit Simon und Juliane treffen sollte. Doch keiner der Freunde war telefonisch erreichbar. Der Arzt hatte Dienst und war mit dem
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