Offene Rechnungen
Schulausflug. Leider bleiben auch die Aussagen der Kollegin reichlich verworren, aber das kann natürlich am Stress liegen.«
Frank spürte Unbehagen beim Rektor, aber auch den Willen, den Vorfall möglichst herunterzuspielen. Doch damit würde er den Schulleiter nicht durchkommen lassen, da seiner Ansicht nach ein Zusammenhang zwischen dem Vorfall auf dem Schulausflug und dem Mord an Ralph Wiese bestand.
»Was denken Sie denn, was zum Zusammenbruch von Frau Wiese geführt hat?«
Oskar Bolzin trank umständlich von seinem Kaffee, suchte offensichtlich nach einer möglichst unverfänglichen Antwort.
»Da kommen sicherlich mehrere Aspekte infrage. Der hohe Belastungsfaktor als Lehrkraft über viele Jahre und vielleicht auch private Probleme.«
»Verstehe. Hat Frau Wiese Ihnen gegenüber einmal konkret über private Probleme gesprochen?«
Erneut überlegte Bolzin sich seine Antwort sehr sorgfältig. Er hatte nicht vor, der Polizei allzu tiefe Einblicke in die Abläufe an seiner Regionalschule zu gewähren. Das war sein Territorium.
»Nein, das nun auch wieder nicht. Nur eben ihre Angst wegen der beruflichen Gefährdung ihres Mannes. Hören Sie, Herr Hauptkommissar. Ich kann Ihnen leider keine echten Hinweise liefern, so gerne wir Ihnen bei den Ermittlungen auch helfen möchten.«
Frank erkannte das übliche Verdrängungsritual. Er verabscheute Typen wie diesen Bolzin, denen es wichtiger war, den guten Ruf zu wahren, als den Mord an einem Mitmenschen aufzuklären. Seine Abscheu wurde übermächtig und er legte sich eine scharfe Erwiderung zurecht.
»Frau Wiese war doch sicherlich nicht allein als Aufsichtsperson mit auf dem Ausflug. Welcher ihrer Kollegen hat sie da begleitet?«
Esther hatte die Anzeichen bei ihrem Kollegen aufgenommen und griff ein. Oskar Bolzin hatte offenbar mit der Frage gerechnet.
»Der Kollege Harmsen war als männliche Aufsichtsperson dabei.«
»Robert Harmsen, der Sport- und Mathematiklehrer?«, hakte Esther umgehend nach.
Ariane hatte mehrfach von dem Kollegen erzählt, genauso wie von den anderen Mitgliedern des Kollegiums.
Bolzin bestätigte die Annahme und konnte oder wollte nicht mehr zu dem Vorfall sagen. Auf Franks Frage, ob Harmsen zu sprechen sei, studierte der Rektor umständlich einen Unterrichtsplan.
»Ja, wenn Sie noch etwa zehn Minuten Geduld haben. Der Kollege Harmsen hat nach dieser Unterrichtsstunde eine Freistunde und kann Ihnen dann zur Verfügung stehen.«
Frank und Esther dankten dem Rektor, verließen sein Dienstzimmer und marschierten an der neugierig aufsehenden Sekretärin vorbei hinaus auf den Schulhof.
»Wieso sind Lehrer eigentlich immer so? Dieser Bolzin weckt unschöne Erinnerungen an meine eigene Schulzeit in mir«, brummte Frank und sog anschließend die frische Luft tief ein.
Esther sah ihn mit leichtem Lächeln an.
»Meine Erinnerungen scheinen besser zu sein als Ihre. Aber es stimmt schon, Oskar Bolzin ist der Prototyp eines Lehrers. Mal sehen, wie Harmsen auftritt.«
Eine Weile schwiegen die beiden Polizisten, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Der Pausengong hallte durch den diesigen Vormittag und ließ eine Schar Krähen von den nahen Bäumen auffliegen. Die bisherige Stille auf dem Schulgelände wurde abrupt von Hunderten jugendlicher Stimmen durchbrochen. Schüler aller Altersstufen schwärmten aus diversen Ausgängen auf den Innenhof der Regionalschule. Vereinzelt schwammen die Gestalten der Lehrer durch die jugendliche Menge, verschwanden im Trakt, in dem auch Bolzin sein Dienstzimmer hatte. Nur eine hochgewachsene Blondine schritt am Rande des Schulhofes entlang und entdeckte schließlich die beiden Beamten. Unverzüglich beschleunigte die Lehrerin ihre Schritte und eilte auf Frank und Esther zu.
»Hallo? Was machen Sie hier?«
Keine freundliche Begrüßung, sondern spürbare Abweisung. Diese herablassende, autoritäre Ader weckte Unmut in Frank. Dieses Mal hielt er sich nicht zurück.
»Wir suchen nach passenden Kandidaten, die für uns Drogen an dieser Schule verteilen. Vorschläge?«
Esther zuckte sichtlich zusammen, warf ihrem Kollegen einen ungläubigen Blick zu. Die Lehrerin war erschrocken zurückgewichen, zerrte hektisch ein Handy aus der Manteltasche. Gleichzeitig suchte sie mit Blicken nach Unterstützung. Als ein schlaksiger Mann sich einen Weg durch die Schülergruppen bahnte, sah man ihr deutlich die Erleichterung an.
»Hauptkommissar Reuter?«
Als Frank lächelnd seinen Dienstausweis hochhielt, klappte der Unterkiefer der blonden
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