Offene Rechnungen
Simon sah immer wieder zu seiner Begleiterin, die ihn aus großen, braunen Augen anstrahlte. Arianes Gesicht und die bloßen Schultern zeigten einen ersten Anflug von Sonnenbräune, was der Lehrerin ungemein gut stand. Simon erschrak heftig als ein Rucken seinen Körper unsanft schüttelte und sein suchender Blick die schöne, anmutige Ariane verlor.
»He, du Schlaftier! Wirst du wohl endlich wach werden!«
Verwirrt setzte Simon sich auf, schaute auf die Gebäude, die am Seitenfenster vorbeizogen. Der Arzt benötigte eine Weile, bis er sich orientieren konnte. Ungläubig schaute er auf die Fahrzeuge, die mit ihnen über die Umgehung in Richtung Holstein Stadion rollten.
»Was treibst du denn?«, fragte er Juliane fassungslos.
Er hatte es sich irgendwann ein wenig gemütlicher auf dem Beifahrersitz eingerichtet und musste eingeschlummert sein. Zu dem Zeitpunkt stand der Audi noch auf dem Parkplatz der Hilfsorganisation schräg gegenüber vom Zentrum. Jetzt blinzelte Simon ins Licht der Kieler Straßenbeleuchtung und Juliane lenkte den Audi mit angespannter Miene durch den geringen Verkehr der Landeshauptstadt.
»Was ich treibe? Na, du hast vielleicht Nerven. Während du wie ein Murmeltier geschlafen hast, wurde es am Zentrum tatsächlich lebendig«, beschwerte die Psychologin sich.
Als der Kleintransporter am Zentrum auftauchte und jemand nur für einen Moment im Gebäude verschwand, wollte Juliane den selig schlummernden Arzt schon wecken. Doch dann ließ sie es bleiben und nahm die Verfolgung des Fahrzeuges auf, während Simon ungerührt schlief. Juliane ahnte, was passieren würde, wenn sie den Mitstreiter zu früh weckte. Der extrem vorsichtige Mann hätte Unmengen an Argumenten, die gegen diese nächtliche Verfolgungsjagd sprachen. Doch auf eine langwierige Diskussion wollte Juliane sich nicht einlassen, daher wartete sie mit dem Wecken, bis sie den Audi über die Umgehung von Kiel steuerte.
Simon rieb sich übers Gesicht, versuchte so die Restmüdigkeit zu vertreiben. Sein Blick erfasste einen Kleintransporter, der wenige Wagen vor dem Audi im Verkehr zu erkennen war.
»He, ist das nicht der Transporter von Heike Sonntag?«
Juliane stieß schnaufend die Luft aus.
»Blitzmerker! Natürlich ist er es und wir verfolgen den Wagen. Was könnte die Pächterin wohl dazu verleiten, mitten in der Nacht irgendwelche Sachen aus Kiel zu holen?«
Simon warf seiner Begleiterin einen prüfenden Seitenblick zu. Die rothaarige Psychologin war angespannt und reagierte daher ein wenig brüsk. Sauer schien sie nicht wirklich zu sein, so gut konnte Simon sie einschätzen.
»Berechtigte Frage, Jule. Warum hast du mich nicht früher geweckt?«
»Wozu? Ich hatte ja alles im Blick, aber hier sollten vier Augen den Wagen im Blick behalten.«
Im gleichen Augenblick zog der Transporter der Pächterin nach rechts und setzte den Blinker. Juliane folgte dem Wagen vor ihr die Ausfahrt hinaus. In den nächsten Minuten ging die Fahrt durch die verlassen daliegenden Straßen in Kiels Norden und endete zu Simons Verwunderung nahe der Schleuse. Juliane reagierte vorzüglich und stellte den Audi ab, bevor der Transporter sich einen Parkplatz an einem Gebäude gesucht hatte. Wortlos drückte sie anschließend dem Arzt eine Taschenlampe in die Hand und stieß die Fahrertür auf.
»He, ganz langsam. Du willst doch wohl nicht da rüber?«, protestierte Simon, dem der kühle Nachtwind die letzte Trägheit aus dem Körper vertrieben hatte.
Alle nur denkbaren Gruselszenen jagten durch Simons Kopf, der sich schon von hartgesichtigen Gangstern umringt sah. Ein flaues Gefühl setzte sich in seiner Magengrube fest.
»Was denn sonst? Wir werden einen Blick auf das werfen, was Heike Sonntag dort treibt. Ansonsten wäre diese ganze Verfolgung ja völlig überflüssig gewesen.«
Das sah Simon anders, aber zu weiteren Einwänden ließ Juliane ihm keine Zeit. Die Psychologin hatte die Fahrertür leise ins Schloss gedrückt, huschte über die Straße und versteckte sich dann zwischen einigen Bäumen. Murrend folgte Simon ihrem Beispiel, erschauerte im kalten Aprilwind. Er hetzte so schnell über die Straße, dass er in Juliane hineinrannte.
»Pass doch auf, du Schussel!«, fauchte sie verärgert.
Der Psychologin war bewusst, dass ihr Begleiter sicherlich nicht der ideale Mann für solche Aktionen war. Auf der anderen Seite traute sie Simon weit mehr zu als der schüchterne Mann sich selbst. Wie viele Männer benötigte er nur die Führung durch eine starke Frauenhand
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