Offene Rechnungen
hatte die Ablehnung schon auf der Zunge, doch ein Blick in das entschlossen wirkende Gesicht von Juliane hielt sie zurück.
»Einverstanden, Jule. Du musst mir aber versprechen, dass ihr nichts mehr unternehmt, bevor ihr von mir gehört habt.«
Auffordernd schaute Esther ihre Freundin an, die mit feierlicher Miene auf das Grab ihrer Mutter schwor.
»Kindskopf! Deine Mutter lebt noch und es gehört sich nicht, solche fiesen Witze darüber zu machen.«
Esther verkniff sich ein Lachen, als sie die betretene Miene ihrer Freundin bemerkte. Ab und an gingen mit dem Rotschopf echt die Pferde durch, aber es war nie böse gemeint.
»Schon gut, Jule. Genug gebüßt. Erzähl mir lieber noch einmal, wie du mit dem schlafenden Simon über die Autobahn nach Kiel gebraust bist. Besonders ausführlich hätte ich gerne die Stelle, wo er von dir geweckt worden ist.«
Sofort war Juliane wieder in ihrem Element und schilderte mit großen schauspielerischen Einlagen das verwirrte Aufwachen des Arztes. Esther lachte mehrfach lauthals, spürte aber auch ein wenig Mitleid mit dem gutherzigen Mann. Simon Vester war ein besonders zuverlässiger Freund und eben kein Draufgänger, womit Jule und er das perfekte Team bildeten.
*
Frank Reuter saß an seinem Schreibtisch in der Inspektion und sichtete das Beweismaterial gegen Ariane Wiese. Nur die Schäden an ihrem Golf konnte er als wirklich stichhaltigen Beweis anerkennen, der Rest stellte lediglich eine Indizienkette dar. Für eine Anklageerhebung sollte es nach seiner Erfahrung allemal reichen, doch zufrieden war Frank mit dem Ergebnis nicht.
»Was ist dein Motiv?«
So sehr er auch stocherte und schlussfolgerte, Ariane Wiese hatte kein Motiv für den Mord gehabt. Jedenfalls konnten die Kriminalbeamten der Witwe kein Motiv nachweisen. Das war der entscheidende Knackpunkt, an dem Frank nicht vorbeikam. Der Rechtsanwalt von Ariane brauchte überhaupt kein begnadeter Strafverteidiger zu sein, um den Prozess genau an diesem Punkt aus den Angeln zu heben. Der Staatsanwalt hatte die Pflicht, dem Gericht eine schlüssige Anklage zu präsentieren und genau das würde ohne glaubwürdiges Motiv kaum gehen. Frank hatte sich in dieser Hinsicht bereits mit Clemens Wolter besprochen, der genau die gleichen Bedenken äußerte.
»Das reicht für mich noch nicht, Herr Reuter. Vernehmen Sie Frau Wiese so lange, bis sie gesteht oder wenigstens ein Motiv liefert.«
Diese Forderung klang in Franks Ohren immer noch nach und dennoch hatte er bisher keinen erneuten Besuchstermin in der JVA anberaumt. Angesichts des ersten, wenig erfolgreichen Anlaufs scheute er vor einer erneuten Begegnung mit Volker Jahn und dessen Mandantin zurück.
*
Als Esther Helmholtz den Kopf in sein Büro hineinsteckte, nahm er es als willkommene Ablenkung.
»Ich hoffe, Sie haben Neuigkeiten, die uns in den Ermittlungen weiterbringen. Die vorhandenen Indizien gegen Frau Wiese reichen dem Staatsanwalt nicht und ehrlich gesagt, kann ich es ihm nicht verdenken.«
Zu seiner Überraschung erschien zuerst ein angespannter Gesichtsausdruck bei seiner Rendsburger Kollegin, bevor sie schließlich nickte. Ihr Verhalten weckte Franks Misstrauen.
»Also, los Esther. Raus mit der Sprache. Was haben Sie ausgefressen?«
Am Zusammenzucken der Kollegin erkannte Frank, dass sein Schuss ins Schwarze getroffen hatte. Es hatte ihn sowieso schon verwundert, wieso ausgerechnet die Rendsburger Kollegen ohne eigenmächtiges Handeln auskommen sollten. Es blieb einfach ein Reibungspunkt zwischen den lokalen Beamten und den Kriminalisten des LKA, wenn die vor Ort die Ermittlungen leiteten. Meistens führten die ortsansässigen Ermittler noch eigene Recherchen durch, die öfter zu Problemen führten. Daher war Frank zwar wenig überrascht, aber auch extrem skeptisch gegenüber Esther Helmholtz' Auftreten.
»Dr. Vester und Dr. Wagenknecht glauben an die Unschuld von Ariane. Da sie der Auffassung sind, dass wir einseitig ermitteln, haben sie eigene Nachforschungen angestellt. Ich weiß, ich hätte es unterbinden sollen. Zum Glück ist den beiden nichts passiert, aber sie haben tatsächlich etwas Interessantes herausgefunden.«
Frank nahm erfreut zur Kenntnis, dass seine Kollegin offenbar keinen aktiven Part bei diesen privaten Ermittlungen eingenommen hatte und sogar die Unsinnigkeit davon einräumte. Deswegen sparte er sich einen Anraunzer und forderte Esther stattdessen auf, über die Ermittlungen ausführlich zu berichten. Verblüfft hörte er von den
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