Offene Rechnungen
E-Mails abfangen können?«
»Wir sehen einiges mehr, Doc. Auf diese Weise erhalten wir umfassende Kenntnisse über die Unternehmen. Speziell interessiert uns ja, welche Auffälligkeiten sich dort einstellen könnten. Welche immer dies auch sein sollen.«
Simon verstand nur teilweise, in welche Richtung dieser Ausspähversuch ging. Er schaute eine Weile den Meldungen auf dem Laptop zu, doch bald verlor er die Lust daran. Irgendwie hatte er es sich spannender vorgestellt und schließlich meldete er sich zum Dienst ab. Charly sollte den gesamten Tag die Meldungen verfolgen und jede sonstige Bewegung aufzeichnen. Am Abend wollten die Freunde sich erneut treffen und die Aufzeichnungen auswerten. Simon fragte sich, ob ihr Unterfangen überhaupt zum Ziel führen konnte. Der Polizei standen so viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung, während sie jetzt schon zu illegale Methoden greifen mussten. Und selbst die standen ihnen nur zur Verfügung, weil ihnen Herbert Scholz half.
*
Die Vernehmung in der JVA endete in einem Störfeuer, das Rechtsanwalt Jahn initiierte. Egal, wozu Reuter die Verdächtige hatte befragen wollen, Jahn stoppte seine Mandantin. Die gesamte Vernehmung wurde dadurch zu einer Farce, die der Kieler Hauptkommissar schließlich erfolglos abbrach. Auf dem Rückweg fluchte er unentwegt über die Attacken des Rechtsanwaltes, wozu Esther ihrem Kollegen nur beipflichten konnte. Zurück in der Inspektion stürzten die beiden Kriminalbeamten sich in die Recherchen. Alle Indizien mussten gesichtet und die mögliche Anklage gegen Ariane Wiese für den Staatsanwalt wasserdicht vorbereitet werden. Frank Reuter gab Clemens Wolter über Telefon den Bericht über die versuchte Vernehmung in der JVA.
»Donnerwetter! Wolter bezeichnet den Jahn als absoluten Profilneurotiker, der nur seine mangelnde Körpergröße kaschieren möchte.«
Esther erkannte, dass es dem Hauptkommissar gut tat, wenn man ihm die Last von den Schultern nahm. Der gescheiterte Versuch einer sinnvollen Vernehmung schien ihm echte Kopfschmerzen zu bereiten.
»In Rendsburg nennt man es auch SMS«, sagte sie grinsend.
Der Hauptkommissar schaute seine Kollegin fragend an, da er den Begriff offensichtlich nicht kannte.
»Short Man Syndrom.«
Verblüfft nahm Reuter die Übersetzung zur Kenntnis, bevor er lauthals loslachte. Gerd Pietschmann brachte einige Unterlagen ins Büro und nahm den Heiterkeitsausbruch mit Verwunderung wahr. Die restlichen Stunden arbeitete der Kieler Hauptkommissar entspannt an seinen Recherchen, brach ab und an nochmals in leises Lachen aus.
Gleich nach Dienstschluss fuhr Esther in die Denkerstraße und traf im Büro zunächst nur auf Herbert Scholz. Der Leiter des Sicherheitsdienstes winkte die Oberkommissarin herein und hob fragend die Karte eines Pizzalieferservice hoch. Esther klinkte sich in die Bestellung des Sicherheitsdienstes ein und freute sich auch über ein kühles Bier, welches Herbert ihr anbot. Esther setzte sich auf einen der Stühle am Besprechungstisch und legte ihre müden Beine auf einem der anderen Stühle ab.
»Na, lief wohl nicht so gut in der JVA?«
Esther warf Herbert einen Blick zu, hätte sich eine andere Frage gewünscht. Aber es half nun einmal nichts. Sie mussten sich mit der neuen Situation auseinandersetzen, die ihre Bemühungen fast unnötig erscheinen ließen.
»Nein. Ariane hat Volker Jahn als Rechtsvertreter eingeschaltet. Mehr muss ich wohl nicht sagen.«
Der ehemalige Kollege verdrehte die Augen und sprach Esther sein Bedauern aus.
»Der kleine Scheißer pinkelt gegen jeden Baum und jeden Reifen. Einfach nur, um auf sich aufmerksam zu machen«, lautete der knappe Kommentar von Herbert.
Anschließend tranken sie schweigend das Bier und Esther genoss die seltene Stille. Ihr Blick ging dabei über die Straße hinüber zum neu geschaffenen Obereiderhafen. Für einen Moment versank Esther in Erinnerungen und sah sich hinter dem mittlerweile verlegten Bahndamm einen schmalen Weg entlanglaufen. Als junge Frau hatte sie oft spekuliert, was für Menschen wohl in den Zügen sitzen würden, die oberhalb ihres Kopfes vorbeiratterten. Eine Welle von Fernweh erfasste Esther, die für dieses Jahr eigentlich einen längeren Urlaub in den USA geplant hatte. Doch der plötzliche Tod des Vaters im vergangenen Jahr und der Einzug in die elterliche Wohnung hatten alle Pläne über den Haufen geworfen. Vermutlich würde es ein gemeinsamer Urlaub mit der Mutter werden und die würde sich nie im Leben in ein
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